Atom-Debatte entscheidet Wahlen – Grün-Rot in Baden-Württemberg

Stuttgart (RP) Grün-Rot hat in Baden-Württemberg einen Sensationssieg errungen. Bei der Landtagswahl haben Grüne und SPD nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis die Mehrheit errungen und können die CDU nach fast 60 Jahren erstmals von der Regierungsmacht verdrängen. Zugleich hat ein Grüner Chancen, Ministerpräsident zu werden. Auch das wäre ein Novum in der bundesdeutschen Geschichte.

Stärkste Kraft in Baden-Württemberg blieb mit 39 Prozent die CDU. Es ist aber trotzdem ihr schlechtestes Ergebnis seit der ersten Landtagswahl 1952. Die Grünen folgen mit sensationellen 24,2 Prozent auf Platz zwei und haben damit ihr altes Rekordergebnis von 2006 noch einmal verdoppelt. Knapp dahinter landet die SPD mit 23,1 Prozent – das schlechteste Ergebnis seit 59 Jahren. Damit könnte Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann zum neuen Ministerpräsidenten gewählt werden, wenn sich beide Parteien des linken Lagers auf eine grün-rote Koalition verständigten. Beide haben dazu bereits ihre Bereitschaft angedeutet.

Die FDP schaffte in ihrem einstigen Stammland die Fünf-Prozent-Hürde mit 5,3 Prozent nur ganz knapp. Der Linkspartei misslang der Sprung in den Stuttgarter Landtag deutlich. Sie blieb mit 2,8 Prozent weit unter den Erwartungen. Sogar die Linken-Vorgängerpartei WASG war mit 3,3 Prozent im Wahljahr 2006 erfolgreicher.

Der Wahlgewinner Kretschmann sagte, eine "historische Wende" sei erreicht. Er versprach einen Politikwechsel hin zu einer "Bürgergesellschaft". Die Polarisierung des scharfen Wahlkampfs müsse überwunden werden. Neuer Ministerpräsident werde, wer die stärkste Fraktion hinter sich habe. Die Grünen seien bereit und fähig, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Der baden-württembergische SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid sagte, der historische Regierungswechsel sei geschafft. "Schwarz-Gelb ist abgewählt!", rief er aus.

Der Wahlverlierer, der bisherige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), räumte seine Niederlage ein. "Daran gibt es nichts zu beschönigen", sagte er in einer ersten Stellungnahme. Es gelte, "einen solchen Tag auszuhalten". Er wünsche SPD und Grünen "für die Erfüllung des Regierungsauftrags alles Gute", sagte Mappus weiter. Für die CDU bleibe nun die Oppositionsrolle. Mappus, der auch CDU-Landeschef ist, sagte, es sei ein bitterer Tag für die Christdemokraten und auch für ihn persönlich. Seine persönliche Zukunft ließ er zunächst offen, übernahm aber die "volle Verantwortung" für das Ergebnis. Heute würden die Parteigremien über mögliche personelle Konsequenzen beraten. Der 44-Jährige hatte erst vor rund einem Jahr das Amt von Günther Oettinger (CDU) übernommen und stand zum ersten Mal zur Wahl.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach von einer "Volksabstimmung gegen die Atomindustrie". Die Bürger hätten im Zeichen der Atomkatastrophe in Japan gewählt und Schwarz-Gelb die Quittung ausgestellt. Außer der umstrittenen Nutzung der Atomenergie hat Wahlforschern zufolge auch der Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 zum Sieg der Grünen beigetragen. Gegen den unterirdischen Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, den die Grünen strikt ablehnen, demonstrieren seit mehr als einem Jahr Zehntausende Bürger in der baden-württembergischen Landeshauptstadt.

(RP)
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