Iran-Abkommen Mr. Trumps fehlendes Gespür für Frieden

Berlin · Der US-Präsident kündigt das Atomabkommen mit dem Iran und nährt die Ängste vor einem neuen Krieg im Nahen Osten. Vielleicht hat er aber den Bogen überspannt. Berlin, Paris, London rücken zusammen. Retten sie mit China und Russland den Iran-Vertrag, wären die USA isoliert. Dafür braucht es aber einen langen Atem.

 US-Präsident Donald Trump am Mittwoch im Weißen Haus.

US-Präsident Donald Trump am Mittwoch im Weißen Haus.

Foto: AFP/SAUL LOEB

Es könnte die Wende sein. Ein Abrücken Europas von den USA, weil deren jetziger Präsident mehr spaltet als kittet, mehr kaputtmacht als heilt. Und vor allem, weil er Vertrauen zerstört. Die Welt kann sich nicht darauf verlassen, dass weiter gilt, was mühevoll verhandelt wurde. Es hat auch nichts genützt, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel Ende April in Washington waren und noch einmal für das internationale Atomabkommen mit dem Iran geworben haben. Für diesen so mühevoll über 13 Jahre ausgehandelten Vertrag, der seit 2015 eine neue Friedenshoffnung war. Teheran verpflichtet sich darin zu ausschließlich ziviler Nutzung der Atomenergie. Dafür fielen Sanktionen weg, unter denen die Bevölkerung schwer gelitten hatte.

Nur elf Minuten hat US-Präsident Donald Trump gebraucht, um dieses Abkommen vor laufenden Kameras wieder auf- und "schärfste Sanktionen" anzukündigen, weil er wie Israels Premierminister Benjamin Netanjahu glaubt, dass Teheran doch weiter Atomwaffen entwickelt. Überzeugende Beweise bleiben beide aber schuldig. Trump meint aber eben: "Es hat keine Beruhigung gebracht, es hat keinen Frieden gebracht, und das wird es nie." Das ist schon insofern falsch, als das Abkommen genau das bewirkte: eine Beruhigung. Deshalb bleiben die anderen Vertragspartner jetzt auch bei dem Abkommen: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland, China. Sie versichern umgehend, dass sie sich dem Abkommen verpflichtet fühlen. Eine ungewöhnliche Allianz. Die USA sind wieder isoliert.

Merkel, während der langen Regierungsbildung in Deutschland auf internationaler Bühne verschwunden, drängt jetzt wieder nach vorn. Sie nutzte einen Termin gestern mit christdemokratischen Kreisvorsitzenden, um Weltpolitik zu machen. Ihr ist das Unverständnis ins Gesicht geschrieben, als sie sagt, Trumps Rückzug aus dem Vertrag sei "schwerwiegend". Für ihre Verhältnisse ist das eine harte Distanzierung. Sie spricht auch von Bedauern und Sorge.

Es ist die Sorge vor einer Eskalation im Nahen Osten. Der iranische Präsident Hassan Ruhani kommt zwar der Bitte der Europäer nach, mit "Augenmaß" auf Trumps Entscheidung zu reagieren, und hält erst einmal an der Vereinbarung fest. Aber er steht unter massivem Druck der Hardliner im Land, die schon immer fanden, dass man den USA nicht vertrauen darf. Und so teilt er auch mit, dass die Urananreicherung "im Notfall" wieder unbegrenzt aufgenommen werde.

Merkel reist Ende nächster Woche zu Russlands Präsident Wladimir Putin und wenig später zu Chinas Staatschef Xi Jinping. Da ist sie wieder, die Krisenmanagerin. Sie hätte bei ihrem Besuch in Washington gern mit Trump analysiert, wie der Westen die wachsende Rolle dieser beiden Mächte im Nahen Osten begrenzen könnte, denen die eigene globale Bedeutung viel wichtiger ist als die nachhaltige Befriedung einer immens komplizierten Region. Aber so weit kam es nicht. Jetzt kündigt die Kanzlerin selbstgewiss an, sie werde sich in der Außenpolitik noch mehr als bisher um politische Lösungen kümmern. Um den Syrien-Konflikt etwa, der nicht ohne Russland, den Iran, die Türkei oder arabische Länder wie Saudi-Arabien gelöst werden könne.

Das Dilemma und die Instabilität im Nahen Osten hängen damit zusammen, dass sich hier Großkonflikte länderübergreifend überlagern und schier unentwirrbar miteinander verknüpft sind. Die eine Frontstellung lässt sich bis zu den Interessen der Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich im Ersten Weltkrieg zurückverfolgen, die um kurzfristiger Kriegsvorteile willen sowohl Arabern als auch Zionisten großzügig Zusicherungen machten. Dies führte zum einen zur Gründung des Staates Israel 1948 und zugleich zur Kriegserklärung der arabischen Staaten. Beide Seiten haben seitdem nur einen eingefrorenen Krieg, der so lange nicht dauerhaft gelöst wird, wie nicht von außen vermittelt und ein schrittweiser Interessenausgleich gefunden wird.

Gleichzeitig flammen Konflikte auch entlang der religiösen Fronten innerhalb des Islam zwischen Schiiten und Sunniten immer wieder auf. So ist das Verhältnis zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran zerstört. Beide verstehen sich als Schutzmacht der jeweiligen Glaubensrichtung. Der Wille, auch direkt gegeneinander anzutreten, schlägt sich in einer Reihe von Stellvertreterkriegen etwa in Syrien oder im Jemen nieder. Erschwerend kommt hinzu, dass diese beiden Grundkonflikte von regionalen Mächten benutzt werden, um die eigene Position zu verbessern. Vor allem die Mittelmächte Iran, Saudi-Arabien und die Türkei ringen um eine regionale Vorherrschaft und haben wenig Interesse an einvernehmlichen Lösungen, die die Aussichten auf weiteren Einflussgewinn mindern. Der Ausfall der USA als Ordnungsmacht im Nahen Osten schon zu Zeiten Barack Obamas hat Russland dazu eingeladen, sich in der Region breitzumachen und sie als Sprungbrett zu benutzen, die eigene Macht in der Welt auszubauen.

Europa ist jetzt nicht nur gefordert, sondern wegen der unseligen Rolle beim Entstehen des Nahostkonflikts auch in der moralischen Verpflichtung, als Ordnungsfaktor zu wirken. Am erfolgversprechendsten wäre das an der Seite der Supermacht USA, wie zurückliegende Verständigungsprozesse belegen. Doch Trump hat die ohnehin sinkende Bereitschaft Amerikas zur Übernahme von Verantwortung fast auf null gesetzt. Im Gegenteil: Er heizt die Stimmung etwa mit der Verlegung der US-Botschaft am 14. Mai nach Jerusalem noch weiter an, weil die Stadt schon jetzt Kristallisationspunkt des Nahostkonflikts ist. Die Region war schon vor der womöglich bald neuen Nuklearbedrohung durch den Iran auf dem Weg in eine zusätzliche brandgefährliche Zuspitzung. Sollte Trump auch noch einen Regimewechsel in Teheran anstreben, würde die Kriegsgefahr noch wachsen.

Merkel sagt, in einer unruhigen Welt habe Europa als Friedensprojekt einzigartige Stabilität gebracht. Das müsse erhalten bleiben. Dafür brauche Europa eine klare Haltung, "aber auch einen langen Atem". In letzter Zeit betont sie immer häufiger, dass mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden keine Selbstverständlichkeit ist.

(RP)
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