Istanbul Armenien-Votum: Erdogan glaubt an Verschwörung

Istanbul · Wenige Tage vor dem Armenien-Beschluss des Bundestages war der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan nach einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar noch guten Mutes. Die Kanzlerin habe ihm in dem Gespräch zugesagt, alles ihr Mögliche zu tun, um den Beschluss zu verhindern, sagte Erdogan am Wochenende. Doch dann sei sie abgetaucht und habe nicht einmal an dem Votum teilgenommen.

Recep Tayyip Erdogan: Das ist der türkische Staatspräsident
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Das ist Recep Tayyip Erdogan

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Irgendetwas stimmt da nicht, ist Erdogan sicher. Er und viele seiner Landsleute wittern eine Verschwörung. Eine "höhere Macht" habe den Deutschen den "Befehl" für die Resolution gegeben, sagte Erdogan. Ohne näher zu beschreiben, was er damit meint, sprach er von einer "deutschen Schule", die es auf die Türkei abgesehen habe. Um die Armenier sei es dem Bundestag jedenfalls nicht gegangen: Das Thema werde als "Knüppel gegen die Türkei" instrumentalisiert.

In einem Land, in dem die Verbreitung von Verschwörungstheorien fast schon Volkssport ist, kann Erdogan sicher sein, dass ihm viele Türken glauben werden. Der Präsident reihte das Bundestagsvotum in eine ganze Serie von Entwicklungen ein, hinter denen er anti-türkische Machenschaften vermutet. Er zählte die Gezi-Proteste, die Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung und die Gewalt der kurdischen Terrororganisation PKK auf und fügte hinzu, die Entscheidung des Bundestages sei "das letzte Glied dieser Kette" gewesen.

Schon während der Gezi-Demonstrationen vor drei Jahren hatten AKP-Anhänger den Verdacht, dass die Proteste von ausländischen Kräften gesteuert werden. So sah Erdogans Berater Burhan Kuzu damals Deutschland als Drahtzieher: Die Bundesrepublik wolle den Bau des neuen Flughafens in Istanbul verhindern, weil dieser dem Frankfurter Airport den Rang ablaufen werde.

Der regierungskritische Intellektuelle Murat Belge schrieb in einem Beitrag für die Online-Plattform T24, der türkische Staatsschef betrachte sich selbst nicht nur als Präsident eines Landes: "Seit einiger Zeit sieht sich Erdogan als islamischer Anführer und glaubt, die islamische Welt aus ihrer Unterlegenheit dem Westen gegenüber befreien zu können."

Damit wird der Streit um die Resolution zum Teil einer größeren Auseinandersetzung zwischen dem Westen und der muslimischen Welt. Und diese könnte auf lange Sicht die deutsch-türkischen Beziehungen schwerer belasten als der Streit über die Einstufung der Massaker an den Armeniern als Völkermord. Yasin Aktay, führendes Mitglied der AKP, schrieb in der regierungsfreundlichen Zeitung "Yeni Safak", Ankara werde das Bundestagsvotum so schnell nicht vergessen: "Es war ein Lynchversuch gegen die Türkei."

(RP)
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