Susan Sontag distanziert sich von WalserDer "Gouvernator" ist ein "schlechter Scherz"
Frankfurt/Main (rpo). Die amerikanische Autorin Susan Sontag hat das Ende klassischer Politik beklagt. Die Autorin bezeichnete die Schwarzenegger-Wahl als "schlechten Scherz". "Wir leben in einer postpolitischen Zeit", sagte die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels am Samstag in Frankfurt am Main, und nannte als Beispiel die Wahl Arnold Schwarzeneggers zum Gouverneur von Kalifornien. US-Präsident George W. Bush bezeichnete sie als extremen Rechten, der die US-Außenpolitik radikal verändert habe. Außerdem distanzierte sich Sontag vom deutschen Schriftsteller Martin Walter wegen dessen Äußerungen über den Holocaust. Schwarzenegger sei nicht intelligent, er sei aus dem Nichts aufgetaucht, habe diese unglaubliche Karriere gemacht und sei sehr ehrgeizig, sagte Sontag. Zugleich verbinde man mit dem "Terminator", anders als bei Ronald Reagan, der nur sympathische Figuren gespielt habe, Gewalt. Die Kalifornier hätten ihn aus Bewunderung gewählt und weil sie sich mit ihm identifizieren könnten. "Das hat mit Politik nichts zu tun", sagte Sontag, die als zweites Beispiel Silvio Berlusconi nannte. Schwarzenegger sagte sie Scheitern voraus, weil er die wirtschaftlichen Probleme nicht in den Griff bekommen werde. Was die politische Entwicklung in den USA angeht, zeigte sie sich pessimistisch. Sie glaube nicht, dass es fundamentale Veränderungen geben werde, sagte sie. Es fehle eine wirkliche Oppositionspartei. Die Demokraten seien zu einem Ableger der Republikanischen Partei geworden, kritisierte sie. Hillary Clinton räumte sie keine realistischen Chancen ein, zur US-Präsidentin gewählt zu werden. "Die US-Regierung hat den 11. September als Möglichkeit gesehen, die Spielregeln zu verändern", sagte Sontag. Schätzungsweise 30 bis 40 Prozent seien mit der radikalen Veränderung der Außenpolitik nicht einverstanden, auf die Kritik spiegele sich nicht auf politischer Ebene wider. Die Leute gingen einfach nicht zur Wahl. In den USA sei möglicherweise das Ende der Republik gekommen und der Beginn eines Imperiums. "Clinton war Julius Caesar, und dieser furchtbare Herr aus Texas ist vielleicht Augustus." Sie würde ein stärkeres Europa begrüßen, sagte Sontag, die sich selbst als europhil bezeichnete. Eine gemeinsame europäische Außenpolitik hätte vielleicht den Krieg in Bosnien verhindern können, und "die Schaffung einer europäischen Armee ist meiner Ansicht nach eine Notwendigkeit". Das alles werde kommen, aber es werde ein langwieriger Prozess sein, bis ein Gegengewicht zum US-Imperium aufgebaut sei. Ein solches sei absolut nötig, damit die Amerikaner lernten, dass sie in einer multilateralen Welt lebten. Auf Distanz zu WalserSontag distanzierte sich von Martin Walsers Äußerungen bei der Verleihung des Friedenspreises 1998: Der damalige Preisträger hatte die immer wiederkehrende Thematisierung des Holocausts als "Moralkeule" bezeichnet. Walser denke offenbar, es müsse jetzt Schluss sein mit der Vergangenheitsbewältigung. "Damit stimme ich überhaupt nicht überein." Walser sei der Ansicht, man könne jetzt zur Normalität übergehen. "Das Großartige an Deutschland ist, dass es eben kein normales Land ist." Sie sehe den Preis nicht als politisches Signal, erklärte die 70-Jährige. "Ich bin unbescheiden genug zu glauben, dass ich wenn ich nichts über Bush gesagt hätte, den Preis bekommen hätte." Sie verstehe sich als Schriftstellerin, nicht als Kritikerin oder Intellektuelle. Aber sie sei auch ein Mensch, eine Bürgerin ihres Staates und weine Weltbürgerin. Als solche habe sie eine moralische Norm, wie sie leben und schreiben wolle. "Ich versuche einfach die Wahrheit zu sagen und die Dinge hier und da etwas zu verbessern."