Kabinett beschließt Vorziehen der SteuerreformKanzler ruft Opposition zur Kooperation bei Reformen auf
Berlin (rpo). In der ersten Sitzung nach der Sommerpause hat das Bundeskabinett in Berlin ein weiteres umfangreiches Reformpaket auf den Weg gebracht. Bundeskanzler Gerhard Schröder ruft die Opposition zur Zusammenarbeit auf. Unterdessen wächst die Kritik an den gefassten Beschlüssen. Schröder appellierte an die Union, ein einheitliches Konzept vorzulegen, damit es zu rationalen Gesprächen kommen könne. Bei seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause beschloss das Kabinett am Mittwoch in Berlin das Vorziehen der Steuerreform auf 2004, die Gemeindefinanzreform, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit. Das Vorziehen der Steuerreform soll eine Entlastungssumme von rund 15 Milliarden Euro bringen und wird größtenteils über den Abbau von Subventionen bezahlt. Dazu zählen der Wegfall der Eigenheimzulage und der Wohnungsbauprämie, Einschnitte bei der Entfernungspauschale, geringere Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld sowie Änderungen bei der Besteuerung von Land- und Forstwirten. Gewerbesteuer grundlegend reformierenAußerdem will die Regierung die Gewerbesteuer grundlegend reformieren. Künftig sollen auch Freiberufler wie Ärzte, Notare und Anwälte bei der Gewerbesteuer zur Kasse gebeten werden. Die Entlastung der Kommunen durch die Gemeindefinanzreform bezifferte Schröder für das Jahr 2004 auf 4,5 Milliarden Euro, für 2005 und die Folgejahre auf jeweils fünf Milliarden Euro. Die Ausdehnung der Gewerbesteuer auf Freiberufler und Selbstständige sei deshalb vertretbar, weil diese die Belastung über die Einkommensteuer größtenteils wieder ausgleichen könnten, sagte der Kanzler. Auf die Besteuerung von Pachten, Mieten und Leasingraten habe man verzichtet, weil sonst die von der Regierung geplanten Steuerreformmaßnahmen konterkariert würden. Der Umsatzsteueranteil, den die Gemeinden erhalten, soll nach Regierungsplänen von 2,2 Prozent auf 3,6 Prozent erhöht werden. Unternehmen sollen ihre Ausgaben für die Gewerbesteuer nicht mehr als Betriebsausgabe bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer vom zu versteuernden Gewinn abziehen dürfen. Kanzler sieht Verbesserung der Wirtschaftslage Der Kanzler zeigte sich zudem überzeugt, dass sich die Wirtschaftslage bessere. Mit den vom Kabinett beschlossenen Reformvorhaben würden diese positiven Tendenzen unterstützt. Er räumte jedoch ein, dass er sich ein höheres Wirtschaftswachstum gewünscht hätte. Ein Änderung der Wachstumsprognose lehnte er jedoch ab. Kernpunkt der ebenfalls beschlossenen Arbeitsmarktreform ist die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II. Nicht Erwerbsfähige erhalten ein Sozialgeld, das dem Niveau der heutigen Sozialhilfe entsprechen soll. Die Bundesanstalt für Arbeit soll zu einer Bundesagentur umgebaut werden. Damit hofft die Regierung, Arbeitslose effizienter vermittelt zu können und Bürokratie abzubauen. Die Arbeitsmarktmaßnahmen nannte Schröder die größten Veränderungen in der Sozialgeschichte der Bundesrepublik. Bei der Zusammenlegung der Transferleistungen komme man von einem System der Betreuung hin zu einer aktiven Vermittlung.Kritik aus den eigenen ReihenDie schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis hat das vom Kabinett beschlossene Reformpaket deutlich kritisiert. Die SPD-Politikerin sagte im Deutschlandradio, die Umgestaltung der Gemeindefinanzen, des Arbeitsmarktes und der Einkommensteuer könne man nicht als Reform aus einem Guss bezeichnen. Sie bemängelte insbesondere, dass die Belastung für die Länder und die Kommunen am Ende "nicht tragbar ist". "Wir werden alle ganz klar sagen, denke ich, dass wir das so nicht mitmachen können", erklärte Simonis.Merkel: Reformbeschlüsse Offenbarungseid von Rot-GrünDie CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat die Reformbeschlüsse der Bundesregierung als einen Offenbarungseid von Rot-Grün bezeichnet. "Die Beschlüsse sind für Millionen von Menschen eine herbe Enttäuschung", sagte Merkel am Mittwoch in Berlin. Die Menschen hätten schlüssige Vorschläge erwartet. "Dieses Konzept ist leider nicht vorgelegt worden", sagte Merkel. Die Fragen der Arbeitslosigkeit und der finanziellen Nachhaltigkeit seien nicht beantwortet. Die Gemeindefinanzreform sei unausgegoren, sagte Merkel.Unions-Haushaltssprecher Dietrich Austermann (CDU) hat der Bundesregierung vorgeworfen, mit ihren Reformbeschlüssen Menschen und Unternehmen von 2005 an zusätzlich zu belasten. Auch die Entlastung für das kommende Jahr werde weit geringer ausfallen, als von der Regierung dargestellt, sagte Austermann am Mittwoch in Berlin. Ursprünglich sollten 18 Milliarden Euro weniger an den Staat abgeführt werden. Tatsächlich seien es aber nur 10 Milliarden Euro. Der Chef der CSU-Landesgruppe Michael Glos sieht in dem vom Bundeskabinett beschlossenen Reformpaket kein Aufbruchsignal. "Schröders konzeptionsloser und tagespolitischer Aktionismus verspielt immer mehr Vertrauen", sagte Glos am Mittwoch in Berlin. Mit seinem "Strohfeuer einzelner Vorhaben" versuche Schröder nur vergessen zu machen, dass seine Regierung nicht die Kraft zu nachhaltigen Reformen für den Arbeitsmarkt habe, aus denen Wachstum entstehen könne. Der FDP-Haushaltspolitiker Günter Rexrodt hat der Bundesregierung Versagen in der Finanz- und Haushaltspolitik vorgeworfen. Die am Mittwoch beschlossenen Reformvorschläge seien unzulänglich und nicht geeignet, die strukturelle Wachstumskrise zu überwinden, rügte er. Die FDP befürworte das Vorziehen der Steuerreform, doch nicht auf Pump. Neue Schulden aufzunehmen sei Zeichen der ausweglosen Situation, in die sich die Bundesregierung durch das Hinauszögern von Reformen hineinmanövriert habe. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat seine für Mittwochnachmittag anberaumte Pressekonferenz auf Donnerstag verschoben. Das teilte die Bundespressekonferenz am Mittwoch mit. Ursprünglich war geplant, dass Eichel im Anschluss an Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu den Details der Kabinettsbeschlüsse zur Gemeindefinanzreform und zum Vorziehen der Steuerreform Stellung nehmen sollte.