Umgang mit Reichtum Verdirbt Geld den Charakter, Frau Mayr?

Interview · Sechs Euro für ein Stück veganen Kuchen, 200 Euro für die Katzentherapeutin – für Teile der Gesellschaft spielt Geld keine Rolle. Die Publizistin Anna Mayr gehört inzwischen dazu. Ein Gespräch über Aufstieg und Ungerechtigkeit.

 Die Journalistin Anna Mayr.

Die Journalistin Anna Mayr.

Foto: Anna Tiessen

Wann haben Sie das letzte Mal etwas gekauft und über den Preis nachgedacht?

Mayr Mein letzter Einkauf war ein geruchsdichter Plastikmülleimer für die Katzenabfälle. Wahnsinnig unglamourös. Er hat 50 Euro gekostet. Das ist, glaube ich, mittelteuer für einen Mülleimer.

Geld sparen: Zehn Tipps zum Geld sparen im Alltag
Infos

10 Tipps zum Geld sparen

Infos
Foto: picture alliance / Rudolf Brands/Rudolf Brandstätter

Wann war der Moment in Ihrer Biografie, ab dem sie gemerkt haben, dass der Preis bei Ihren Konsumentscheidungen eigentlich keine Rolle mehr spielt?

Mayr Das werde ich oft gefragt. Genau wie ich früher gefragt wurde, wann ich als Kind gemerkt habe, dass ich arm war. Aber es gibt darauf keine Antwort, weil sich das graduell entwickelt. Es gibt nie den Moment, in dem man denkt: Achso, ich bin arm. Oder: Ach, jetzt habe ich genug. Das sind Denkprozesse, bei denen es oft vor und zurückgeht.

Sie haben in Ihrem Buch „Geld spielt keine Rolle“ Ihr eigenes Konsumverhalten offengelegt und schildern, dass Sie für veganen Kuchen sechs Euro ausgeben oder 800 Euro für ein Hochzeitskleid oder 200 für die Therapie Ihrer Katzen. Warum finden Sie das beschämend?

Mayr Ich finde es gut, wenn Menschen sich schöne Dinge leisten können. Eigentlich sollte Geld für niemanden auf der Welt eine Rolle spielen. Es ist besser, wenn man sich alle Sorgen wegkaufen kann und nie das Gefühl hat, dass einem etwas Elementares fehlt, was man nicht erwerben kann. Ich möchte Geldhaben also nicht verteufeln. Aber ich stelle fest: Seit ich mehr Geld verdiene, gebe ich zum Beispiel nicht mehr Geld an Bettler auf der Straße als früher. Warum eigentlich nicht? Ich habe ja mehr Geld, ich könnte also im Verhältnis mehr abgeben. Das tue ich aber nicht. Als ich gerade eben ein Einzimmerappartement bezahlen konnte, habe ich wahrscheinlich gleich viele Münzen in irgendwelche Becher geworfen, wie jetzt, da ich mir alles kaufen kann, was man so braucht, und noch ein bisschen Quatsch dazu. Das ist eigentlich schäbig. Ich bin aber kein Einzelfall, es gibt Studien, die zeigen, dass mehr Reichtum dazu führt, dass Menschen ihr Geld erst recht zusammenhalten.

Tipps: Geld sparen bei Lebensmitteln
Infos

Geld sparen bei Lebensmitteln

Infos
Foto: DAK

Steckt dahinter Angst, Geiz, verdirbt Geld den Charakter?

Mayr Ich glaube, dafür gibt es keine einfache Erklärung. In früheren Zeiten haben Bauern, die viel hatten, Vorräte angelegt, um für schlechte Zeiten vorzusorgen. Sie haben eingekocht, Kartoffeln eingekellert und so weiter. Bei Naturalien merkt man aber irgendwann, dass man genug hat und dass weitere Äpfel, Birnen, Kartoffeln schlecht würden, wenn man sie horten würde. Geld ist anders. Ich kann mich von Geld nicht ernähren, aber es wird nicht schlecht. Ich kann es gegen alles Mögliche eintauschen. Diese universelle Einsatzbarkeit, das wäre meine These, überfordert unser Vorstellungsvermögen. Weil Geld nicht verrotten kann, haben wir nicht den Impuls, es zu verteilen, sondern denken, dass wir es horten sollten, damit wir es für schlechte Zeiten haben. Große Mengen wirken attraktiv auf Menschen, aus Supermärkten weiß man, dass Produkte nicht einzeln im Regal stehen sollten, denn Leute greifen lieber zu, wenn es von etwas viel gibt. Dieser Impuls bestimmt vielleicht auch unser Verhältnis zu Geld.

Karl Marx hat das den Fetischcharakter des Geldes genannt. Geld ist mehr als ein Tauschmittel.

Mayr Es wäre naiv, in Geld nur ein Tauschmittel zu sehen. Die Geschichte von den Ursprüngen des Geldes aus dem Tauschhandel stimmt auch nicht. Geld ist vor allem ein Machtinstrument. Wer Steuern erhebt, hat Macht über andere Menschen. Dazu braucht man eine Währung. Geld ist also ein Mittel zur Unterwerfung und ist zugleich notwendig, damit größere Gemeinschaften funktionieren können.

Sie schreiben, in der Welt, wie sie gerade ist, könne der Mensch nur ein Arsch sein oder ge-arscht. Wieso?

Mayr Sobald man so viel besitzt, dass man sich keine Sorgen mehr machen muss, besitzt man ja offensichtlich etwas, das ein anderer zum Überleben benutzen könnte. Die einen kaufen Dinge, weil sie schön sind, so wie ich jetzt einen geruchsfreien Plastikmülleimer, andere brauchen Schuhe oder etwas zu essen. Auch in Deutschland. Es gibt diese Bedürftigkeit auch hier. Wenn ich mit den 50 Euro, die ich für den Mülleimer ausgegeben habe, in die Straßenbahn steige, sitzt da sicher jemand, der das Geld für etwas Nötigeres gebrauchen könnte. Mit diesem Widerspruch müssen Menschen leben, die Geld haben. Die meisten verdrängen ihn. Ich empfinde ihn stark, aber ich habe auch keine bessere Idee, wie man leben soll.

Sie sind mit langzeitarbeitslosen Eltern aufgewachsen und haben auch darüber schon geschrieben. Inzwischen haben Sie sich „hochgearbeitet“, sagen aber, das habe weniger mit Leistung zu tun, mehr mit Glück. Sie haben aber doch etwas geleistet, um im klassischen Sinne „aufzusteigen“.

Mayr Natürlich würde ich gern sagen, dass ich meinen jetzigen Status meiner Leistung verdanke. Ich liebe meinen Beruf, und ich finde auch, dass ich gut darin bin. Aber es hätte sehr leicht auch alles anders kommen können. Ein falscher Schritt, eine schlechte Entscheidung, ein Förderer, der sich gegen einen entscheidet und ein Leben nimmt einen völlig anderen Verlauf. Darum geht es mir. Ich habe fürs Studium zum Beispiel ein Stipendium bekommen, das mich durch unbezahlte Praktika getragen hat. Letztlich war es Zufall, dass die Auswahlkommission sich damals für mich entschieden hat. Ich sitze jetzt selbst manchmal in solchen Gremien und weiß, dass die Kriterien letztlich willkürlich sind. Ich kann nur jedem sagen, der bei irgendetwas nicht genommen wird, dass das vor allem von Zufällen abhängt. Nicht von Leistung. Das meine ich mit Glück.

Schon der Zufall der Geburt setzt ja Weichen für das spätere Leben. Denken Sie, es wäre Aufgabe eines sozialen Staates, die Unterschiede, die sich durch die Zufälle des Lebens ergeben, möglichst gering zu halten – also den Einfluss des Zufallsfaktors Glück zu minimieren?

Mayr Ich erwarte moralisch gar nichts vom Sozialstaat. Ich erwarte nur, dass mit den menschlichen Ressourcen in einer Gesellschaft vernünftig umgegangen wird. Es ist aber heute so, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, sich aus diesen Verhältnissen äußerst selten befreien. Es gibt gleichzeitig keinen Beleg dafür, dass Eltern in Hartz-IV-Familien weniger daran interessiert wären, dass es ihren Kindern später gut geht. Es ist also die Knappheit, die Menschen über Generationen arm hält. Es fehlt Eltern an Geld, um ihre Kinder zu fördern, um mit ihnen schöne Dinge zu unternehmen. Stattdessen sind sie die ganze Zeit gestresst. Ich denke, dass es Aufgabe des Staates ist, Bedingungen zu schaffen, unter denen jedes Kind seine Talente finden, entfalten und positiv für die Gesellschaft einsetzen kann.

In der Politik wird gerade um die Kindergrundsicherung gerungen. Die Grünen vertreten die Position, dass arme Familien mehr Geld brauchen, um ihre Kinder auf einen guten Weg bringen zu können. Die FDP sagt, es ist besser, öffentliches Geld in die Bildung zu investieren, damit sich die Kinder später selbst helfen können. Wozu tendieren Sie?

Mayr Interessanterweise gibt es noch gar kein politisches Konzept für die Kindergrundsicherung, sondern nur ein Eckpunktepapier. Die Zahl von 12 Milliarden ist eine sehr grobe Schätzung. Der Streit hat also weder Hand noch Fuß. Ich finde es dabei aber bemerkenswert, dass die Grünen gerade eine liberale Position vertreten, nämlich sagen: Menschen sind im Grunde gut. Wenn man ihnen ein vernünftiges Auskommen gibt, werden sie die vorhandenen Bildungsangebote wahrnehmen, ihre Kinder werden Hobbys finden, später am Arbeitsmarkt teilnehmen. Die Liberalen dagegen vertreten eigentlich eine paternalistische Haltung. Sie wollen festlegen, dass Geld in Bildung investiert wird, wollen Kinder in Sonderprogramme bringen, sie betreuen. Das widerspricht der Idee des schlanken Staates und ist letztlich illiberal. Es gibt ja Leute, die kaufen Obdachlosen, die sie um Geld bitten, eine Banane. Daran erinnert mich das. Der Spender will entscheiden, was für den Bedürftigen gut sein soll, dabei weiß der das in der Regel selbst am besten.

Sie beschreiben sehr ehrlich Ihr Unbehagen mit Ihrem eigenen Konsumverhalten. Ich habe mich oft wiedererkannt und beim Lesen ein schlechtes Gewissen bekommen. Denken Sie, dass aus schlechtem Gewissen politisches Handeln werden kann?

Mayr Nein. Ich glaube, man bewegt Menschen mit schlechtem Gewissen zu gar nichts. Pädagogisch funktioniert nur Freude. Warum bin ich Veganerin geworden? Weil ich sehr viele leckere Rezepte gesehen habe. Voraussetzung war natürlich auch, dass ich Informationen über Tierhaltung hatte. Dieses Wissen allein macht einen allerdings niemals zum Veganer. Aber auf Grundlage dieses Wissens mit der Aussicht auf Freude, auf gutes Essen, kann man sein Leben leicht verändern. Wer Geld hat, ist darin natürlich gefangen. Ich würde keinem Menschen sagen: Nimm all dein Geld und spende es! Ich möchte nur erreichen, dass Leute erkennen, dass alles, was sie umgibt, nicht so sein müsste. Der Status quo ist nicht vom Himmel gefallen, es gibt keinen freien Markt, der ihn kreiert hat. Alles ist menschengemacht – und damit auch veränderbar. Jeder kann sich an dieser Veränderung beteiligen, jeder kann politisch aktiv werden und wird auch gehört. Ich würde aber nie sagen: Tut dies oder das, tretet in eine Partei ein, geht zu Demos. Ich sage nur, die Verhältnisse lassen sich ändern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort