Wuppertal Merkel stellt sich der misstrauischen Basis

Wuppertal · Die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin verteidigt in Wuppertal ihre Linie in der Flüchtlingspolitik gegen teils scharfe Kritik.

Für einen Moment sah es aus, als würde Angela Merkel das Thema verfehlen. Was die CDU in den vergangenen sieben Jahrzehnten nicht alles geleistet hat. Der feste Glaube an die deutsche Einheit. Und, ach ja, die blühenden Landschaften im Osten. "Wir haben uns unserer Verantwortung immer gestellt", sagte Merkel, und ihre Rede plätscherte dahin. Schon ging ein Hauch von Unruhe durch die 115 Jahre alte Stadthalle von Wuppertal, wo gestern Abend rund 800 CDU-Mitglieder eigentlich nur wissen wollten: Wie löst die Bundeskanzlerin die Flüchtlingskrise?

Aber 48 Sekunden später lieferte Merkel die erste Antwort: "Bei uns kann man gut leben, weil wir gute Regeln haben. Das müssen wir den Flüchtlingen vom ersten Tag an klarmachen. Das würde ich auch selbst tun, wenn das notwendig ist." Kräftiger, aber nicht unbedingt euphorischer Applaus.

Deutschland müsse klar trennen zwischen denen, die vor Terror und Krieg fliehen "und die uns willkommen sind", so Merkel - und jenen, die aus wirtschaftlichen Motiven nach Deutschland kommen. Sie müssten konsequent wieder in ihre Heimat geschickt werden. Wieder Applaus, etwas weniger kräftig. Den stärksten Applaus bekam Merkel für ihre Forderung nach der "ganzen Härte des Gesetzes" gegen Flüchtlinge, "die sich nicht an unsere Regeln halten". Eine rhetorisch gelungene Ansprache. Aber wer eine historische Ruck-Rede erwartet hatte, wurde enttäuscht.

Geplant war ohnehin alles ganz anders. Eigentlich sollte es in der Wuppertaler Stadthalle ja nur um die erste von vier "Zukunftskonferenzen" gehen, mit der die Bundes-CDU ihren Parteitag im Dezember vorbereitet: kleine Programmreform, Modernisierung der Parteistruktur und was man als Funktionär eben sonst noch so auf die Tagesordnung setzt, damit die Basis sich "mitgenommen" fühlt.

Aber dann kam die Zuspitzung der Flüchtlingskrise dazwischen und mit ihr die erstaunliche Kehrtwende der Kanzlerin: Ausgerechnet die sonst oft Zögernde ging in die Offensive, breitete den Flüchtlingen der Welt ihre Arme aus - und gab damit ihre Unantastbarkeit preis. Während der eine Teil ihrer Partei und auch die Kirchen sie genau dafür feiern, wird die Kritik im anderen Teil immer lauter. Und CSU-Chef Horst Seehofer will in Bayern nun "Notwehr-Maßnahmen" beschließen. Er sagte in der "Bild"-Zeitung, es gehe etwa um "Zurückweisungen an der Grenze zu Österreich und unmittelbare Weiterleitung neu eintreffender Asylbewerber innerhalb Deutschlands".

Merkel ist also in der Defensive, und in Wuppertal traf sie erstmals seit Ausbruch der Kontroverse um ihre Person auf die Basis. "In diesem Jahr kamen 160.000 Flüchtlinge nach NRW - mehr als nach ganz Frankreich", holte Merkel die applaudierenden NRW-Mitglieder ab. "Wir werden das schaffen", wiederholte Merkel auch in Wuppertal. Klar sei aber auch, dass die anderen EU-Länder nicht genug Verantwortung übernähmen. Der vielleicht wichtigste Teil ihrer Rede, in dem sie mit wenigen Sätzen das Warum ihres Flüchtlings-Engagements herleitete, ging merkwürdigerweise fast unter: "In diesen Tagen und Monaten entscheidet sich, wie wir in Deutschland mit dieser Herausforderung fertigwerden. Das Ausland beobachtet uns. Gerade jetzt müssen wir zeigen, dass jeder einzelne Mensch bei uns eine Würde hat. Wenn wir die nicht beachten, glaubt uns in der Welt niemand mehr."

In der anschließenden Fragerunde mit den Saalgästen wusste die Kanzlerin zu punkten; teilweise erntete sie auch Lacher. Etwa mit ihrer Antwort auf die Frage eines CDU-Mitglieds, warum sie denn kein Flüchtlingszelt auf der grünen Wiese vor dem Berliner Reichstag errichten lasse - Merkel: "Na, spätestens dann würden die Leute sich ja fragen, ob ich bei der Sache mit den Flüchtlingen denn jetzt komplett verrückt geworden wäre."

CDU-Landeschef Armin Laschet war gestern Randfigur. Trotzdem war spannend zu sehen, wie die NRW-Basis auf ihn reagierte. Denn Laschet musste etwas sagen zum Thema "Zusammenhalt stärken - Zukunft der Bürgergesellschaft gestalten". Er leitet eine entsprechende Kommission. In der Flüchtlingskrise wird auch dieser Routineauftrag plötzlich brisant: Denn natürlich geht es auch dabei um Flüchtlinge. "Wir müssen Asyl und Einwanderung trennen. 40 Prozent der Flüchtlinge kommen aus Demokratien", so Laschet gestern, "die können sich nicht auf das Asylrecht berufen, für die brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, das sich am Bedarf des Arbeitsmarktes orientiert." Kräftiger Beifall im Saal.

(RP)
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