Treffen mit türkischem Ministerpräsidenten Merkel ist auf die Türkei angewiesen

Berlin · Die Türkei sichert den Deutschen Hilfe bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu. Deutschland macht im Gegenzug Zugeständnisse.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolgt die Pressekonferenz mit dem türkischen Ministerpräsidenten im Bundeskanzleramt in Berlin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolgt die Pressekonferenz mit dem türkischen Ministerpräsidenten im Bundeskanzleramt in Berlin.

Foto: dpa, mkx fpt

Der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu genießt seinen Auftritt im Kanzleramt vor der deutschen und türkischen Presse sichtlich. Am Morgen waren er und seine Minister mit militärischen Ehren zu den ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen empfangen worden. Davutoglu bringt nun seine Freude zum Ausdruck, dass es eine "neue Phase in den Verhandlungen mit der EU" gebe. Mit der Flüchtlingskrise ist die Türkei ihre Außenseiterrolle auf internationalem Parkett losgeworden. Sie steht im Zentrum, wenn es um die Lösung der internationalen Krise geht.

Neben Davutoglu steht eine erschöpft wirkende Kanzlerin, die nur gelegentlich schwach lächelt. Ihre schon immer beachtlichen Nehmerqualitäten werden in diesen Tagen besonders auf die Probe gestellt. Ruhig hört sie sich an, wie Davutoglu die künftigen Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der EU verbal aufblättert. Ihren Standpunkt, dass sie die Türkei nicht als EU-Mitglied sieht, wiederholt sie an dieser Stelle selbstverständlich nicht. Auch das aktuell brutale Vorgehen der türkischen Armee im Südosten des Landes gegen die Kurden bedenkt sie nur mit den dürren Worten, man habe auch über die Verhältnismäßigkeit im Kampf gegen die PKK gesprochen.

Im Gegenzug stellt der türkische Ministerpräsident in Aussicht, dass die Türkei alles tun werde, die illegale Einwanderung über ihr Land nach Europa zu verhindern. Der innenpolitische Druck, unter dem die Kanzlerin steht, hat sich selbstverständlich bis in die Türkei herumgesprochen. Der türkische Ministerpräsident tut etwas, was Merkel in Europa aktuell selten erfährt. Er bricht eine Lanze für ihre Flüchtlingspolitik. "Frau Merkel hat im Rahmen des Gewissens der Menschheit einen historischen Schritt getan", sagt er. "Diese menschliche Haltung und Führungskraft Frau Merkels muss gewürdigt werden", appelliert er und prophezeit, dass man in 15 oder 20 Jahren sehen werde, was für ein guter Schritt dies gewesen sei. Diese Verteidigung von Merkels Politik dürfte nicht nur Davutoglus ritterlicher Haltung entspringen. Merkels Flüchtlingspolitik nutzt den Türken. Sie sorgt dafür, dass die Türkei nicht alleine ist mit der Bewältigung dieser menschlichen Tragödie. Zugleich sichert sie der Türkei eine wichtige Rolle in der internationalen Staatengemeinschaft und gibt ihr weitgehend freie Hand im Umgang mit unliebsamen Oppositionellen im eigenen Land sowie im Kampf gegen die PKK.

Bei der Bewältigung der Krise kamen die Regierungen aber nur in kleinen Schritten voran:

Grenzsicherung In der gemeinsamen Abschlusserklärung bekräftigen die Türken, die Zahl der "irregulären Migranten in naher Zukunft erheblich zu reduzieren" und ihre Grenzen besser zu sichern. Es soll auch mehr Rücknahmen jener Flüchtlinge geben, die es doch von der Türkei aufs europäische Festland geschafft haben. Bislang funktioniert dies trotz eines bestehenden Rücknahmeabkommens zwischen EU und Türkei nicht. Zugleich sicherte die deutsche Regierung Hilfen beim Vorgehen gegen Schlepper und beim Grenzschutz zu.

Finanzierung Die EU hat den Türken drei Milliarden Euro zur Versorgung der Flüchtlinge in ihrem Land versprochen. Im Vorfeld der Regierungskonsultationen hatte Davutoglu angemahnt, dass von dem Geld noch kein Cent angekommen sei. Zudem halten die Türken den Betrag für zu niedrig, um für die Europäer die Flüchtlingskrise zu lösen. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hielt den Türken im Vorfeld der Gespräche wiederum vor, dass die Verabredungen nicht wirkten. Nur wenn die Türkei ihre Zusagen einhalte, würden Zug um Zug die versprochenen drei Milliarden Euro Unterstützung von der EU überwiesen. In der gemeinsamen Erklärung heißt es nun, die drei Milliarden Euro seien eine "erste finanzielle Hilfe". Das heißt, die Lösung der Flüchtlingskrise wird noch teuer für Deutschland und Europa.

Visafreiheit Nicht zu unterschätzen ist der Wunsch der Türkei, Visafreiheit im Schengenraum für ihre Bürger zu erreichen. Doch sollten die Visa-Erleichterungen über die Gruppe der Geschäftsleute hinausgehen - was die Türken wünschen -, ergäbe sich daraus ein neues Risiko für Europa. Ein ungehinderter Zugang der rund 75 Millionen türkischen Bürger nach Europa könnte eine neue Wanderung auslösen.

EU-Beitritt Die Türken sind wieder im Spiel. Solange die Flüchtlingskrise anhält, werden sie alle sechs Monate von der EU zu einem gemeinsamen Gipfel eingeladen. In der gemeinsamen Erklärung von gestern bekräftigen beide Seiten, dass im ersten Quartal 2016 neue Kapitel zu den Beitrittsverhandlungen aufgeschlagen werden sollen.

(qua)
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