Analyse zur Wahl in Polen Ein Kaczynski kennt keinen Spaß

Warschau · Staatsumbau in Polen: Nach dem Wahltriumph der nationalkonservativen PiS will der mächtige Parteichef Jaroslaw Kaczynski eine andere Republik schaffen. Dazu muss er wohl den Nahkampf in Brüssel suchen.

 Jaroslaw Kaczynski bei seiner Stimmabgabe in Warschau.

Jaroslaw Kaczynski bei seiner Stimmabgabe in Warschau.

Foto: AP/Darko Bandic

Das ikonische Bild dieser Wahl lieferte einmal mehr Jaroslaw Kaczynski. Der Chef der rechtskonservativen PiS war am Sonntagabend gerade vor seine jubelnden Anhänger getreten, um mit ernster Stimme den historischen Sieg der Partei zu würdigen, da gesellte sich eine junge Frau zu ihm auf die Bühne. Sie hielt Kaczynski zum Dank für seinen Einsatz ein Dutzend Rosen in den polnischen Nationalfarben Rot und Weiß entgegen und strahlte ihn an. Der 70-Jährige warf ihr aber nur einen flüchtigen, ehrlich irritierten Blick zu, in dem die Frage lag: Was soll der Firlefanz? Dann redete er einfach weiter, über die „harte Regierungsarbeit, die vor uns liegt“.

Die Szene sagte im Grunde alles, was man über Kaczynski und die PiS wissen muss, um den Triumph der Nationalkonservativen bei der Parlamentswahl am Sonntag zu erklären. Zum Beispiel, dass die Partei ihrem Chef zu Füßen liegt und es an der autoritären Machtfülle des Vorsitzenden keinen Zweifel gibt. Kaczynskis Reaktion zeigte aber auch, dass es ihm unbedingt ernst ist mit seiner Ansage, dass „Politik Arbeit ist und ein Dienst an den Menschen“. Und genau das nahmen die meisten Polen dem PiS-Chef ab und statteten seine Partei deshalb erneut mit einer absoluten Mehrheit im Sejm und im Senat aus, der zweiten, weniger wichtigen Parlamentskammer. Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit, so ließe sich folgern, sind die Basis des PiS-Erfolgs.

Historisch war dieser Wahlsieg nicht nur, weil 43,8 Prozent der Stimmen und 239 von 460 Mandaten im Sejm das beste Ergebnis waren, das eine Partei im postkommunistischen Polen jemals erzielt hat. Die PiS legte bei einer Rekord-Wahlbeteiligung auch um gut sechs Punkte zu, obwohl die Menschen zwischen Oder und Bug traditionell dazu tendieren, ihre Regierungen abzustrafen. Weil sie Politik eher für ein dreckiges Geschäft halten als für harte Arbeit in einer spaßfreien Zone. Kaczynski und seine Mannschaft haben das nun geändert. Die PiS-Regierung habe den Menschen „Respekt gezollt und dies dadurch glaubwürdig gemacht, dass sie ihnen mehr Geld gegeben hat“, urteilte der Warschauer Politikwissenschaftler Klaus Bachmann.

Die meisten Kommentatoren in Polen waren sich am Montag einig, dass die Sozialpolitik der Schlüssel zum Erfolg war. Genannt wurden die erstmalige Einführung eines Kindergeldes durch die PiS, die Erhöhung des Mindestlohns und die Rücknahme der Rente mit 67. Die Opposition habe so klar verloren, weil es ihr nicht gelungen sei, eine „attraktivere Vision des Staatswesens zu schaffen“, schrieb die sonst eher regierungskritische „Rzeczpospolita“. 27,2 Prozent seien zu wenig für eine Partei, die einen Machtanspruch erheben wolle. Das bezog sich auf das Ergebnis der Bürgerkoalition (KO), die abgeschlagen auf Platz zwei landete, obwohl es sich um ein Listenbündnis aus liberalen, grünen und gemäßigt-konservativen Parteien handelte.

Vertreter der Linksallianz Lewica freuten sich zwar über den Wiedereinzug ins Parlament, nachdem vier Jahre lang kein einziger linker Abgeordneter im Sejm gesessen hatte. „Wir kehren dorthin zurück, wo wir hingehören“, frohlockte Robert Biedron, der zu Jahresbeginn noch als großer Hoffnungsträger der Opposition gehandelt worden war. Doch der Biedron-Zug wäre schon beinahe bei der Europawahl im Mai entgleist, als seine Ein-Mann-Partei Wiosna (Frühling) nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde nahm, die es in Polen bei der Wahl des EU-Parlaments gibt. Nun kam das Dreiparteienbündnis Lewica inklusive Wiosna auf eher magere 12,5 Prozent.

Das unerwartet starke Abschneiden zweier kleinerer Rechtsallianzen dürfte dagegen für Kaczynski ein Problem darstellen. Die strukturkonservative Polenkoalition rund um die Bauernpartei PSL erreichte 8,6 Prozent, und auch die ultranationalistische Konföderation schaffte mit 6,8 Prozent den Einzug in den Sejm. Beide Bündnisse fischten in jenem Wählerreservoir, das die PiS ausschöpfen muss, wenn sie die ehrgeizigen Zielvorgaben ihres Parteichefs erfüllen will. „Wir haben viel erreicht, aber wir verdienen mehr“, sagte Kaczynski am Wahlabend und nannte die Marke von 55 Prozent, die man erreichen könne.

Das polnische Wahlsystem bevorzugt bei der Sitzverteilung die stärkeren Parteien. Nur so ist es zu erklären, dass die PiS mit ihren 43,8 Prozent eine absolute Mandatsmehrheit im Sejm und auch im Senat erringen konnte. Mit 55 Prozent würde die Partei höchstwahrscheinlich eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Parlament erreichen, die Kaczynski anstrebt. Denn der PiS-Chef will Polen „von Grund auf verändern“, wie er sagt, hin zu einer katholisch-nationalpolnischen und illiberalen Republik. Das ist der Plan, aus dem er nie einen Hehl gemacht hat.

Vorerst stehen Kaczynski dabei aber weiter die Opposition in Warschau und die EU-Institutionen im Weg. Die Brüsseler Kommission führt noch immer ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen, weil die PiS nach ihrem Wahlsieg 2015 das Verfassungsgericht entmachtet und die Justiz unter Regierungskontrolle gestellt hat, ähnlich wie die Staatsmedien. Der Konflikt wurde zuletzt von beiden Seiten weniger heiß gekocht. Er schwelt aber weiter.

Ob der Streit bald wieder eskaliert, hängt auch von Kaczynski persönlich ab. „Wird er den Mut haben, Ministerpräsident zu werden?“, fragte am Montag die „Rzeczpospolita“. Bislang hatte sich der PiS-Chef darauf beschränkt, die Regierung aus den Kulissen heraus zu lenken, während Mateusz Morawiecki als Ministerpräsident fungierte. Klar ist, dass Kaczynski den großen Auftritt auf internationaler Bühne so wenig braucht wie Dankesrosen. Aber wenn er seinen Polen-Plan in der EU durchsetzen will, wird er kaum darum herumkommen, den Nahkampf in Brüssel zu suchen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort