Mediales Überangebot Wie die Wissenschaft aus der Informationskrise gelangen kann
Meinung · Die Wissenschaft befindet sich seit der Pandemie in einer Informationskrise – hervorgerufen nicht durch zu wenig Informationsfluss, sondern durch ein mediales Überangebot. Wie sich das ändern könnte.
Am vergangenen Samstag ist die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim im Krönungssaal des Aachener Rathauses mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet worden. Damit wurde Nguyen-Kim für ihre Verdienste in der Wissenschaftskommunikation insbesondere während der Corona-Pandemie geehrt. Deutschlandweit bekannt wurde sie durch ihren YouTube-Kanal „maiLab“, in dem sie wissenschaftliche Themen allgemein verständlich aufbereitet; ihre Videos zu Coronathematik wurden teilweise über sechs Millionen Mal aufgerufen.
In seiner Laudatio mahnte Nguyen-Kims ehemaliger „Quarks“-Kollege Ranga Yogeshwar, dass Wissenschaffende eine große Verantwortung in der gesellschaftlichen Aufklärung haben, der sie sich nicht entziehen dürften. Nguyen-Kim ging in ihrer Dankesrede einen Schritt weiter und beschrieb die Wissenschaft in einer Informationskrise, hervorgerufen durch fehlerhafte Wissensvermittlung. Die Informationskrise, die während der Pandemie zur Polarisierung unserer Gesellschaft führte, entstand nicht durch zu wenig Informationsfluss, sondern durch ein mediales Informationsüberangebot.
Nguyen-Kim erklärte zu Recht, dass es Aufgabe der Wissenschaffenden sei, fachlich korrekte Informationen verständlich an die Öffentlichkeit weiterzugeben, um Verschwörungstheorien Einhalt zu gebieten. Was aber ist fachlich korrekt? In der Wissenschaft werden Daten erhoben, analysiert und beleuchtet, um Hypothesen zu bestätigen oder zu verwerfen. Nicht selten werden wissenschaftliche Dogmen nach Jahren auf Grund einer neuer Datenlage in Frage gestellt. Die eine unumstößliche Wahrheit gibt es in der Wissenschaft daher nicht. Voraussetzung für eine ethisch vertretbare Wissenschaftskommunikation ist es hingegen, dass Wissenschaffende die Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Daten wertfrei prüfen und bei der Informationsweitergabe auf mögliche Wissenslücken hinweisen. Eine moderne Wissensvermittlung benötigt Training und sollte dementsprechend integraler Bestandteil des akademischen Curriculums werden.
Unsere Autorin ist Professorin für Infektionsbiologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophin Maria-Sibylla Lotter ab.