Wertewandel Neue Väter braucht das Land

Analyse · Eine solche Vätergeneration gab es in Deutschland noch nie: mehr Zeit für die Familie, höhere Zustimmung zur Gleichberechtigung und weniger Sorge ums Geld. Nur bei den Berufsbildern scheint sich kaum etwas zu ändern.

Ein Vater spielt mit seinem Kind auf einem Spielplatz in Hannover.

Ein Vater spielt mit seinem Kind auf einem Spielplatz in Hannover.

Foto: dpa/Marco Rauch

Der deutsche Vater stand einst als Archetyp für den strengen, disziplinierten und pflichtbewussten Alleinversorger und Ernährer seiner Familie. Ob er es je war, steht auf einem anderen Blatt. Aber der Mythos umgab ihn zweifellos. Die Zeit der Postmoderne ist darüber hinweggegangen. Gerade noch zwei Prozent der Väter, so ergab eine Studie der Technischen Universität Braunschweig in Kooperation mit der Fachhochschule Kiel, erachten Disziplin als einen wichtigen Wert in der Erziehung. Knapp sechs Prozent sehen die Vermittlung von Durchsetzungsfähigkeit als solchen an. Stattdessen plädieren die meisten Väter heutzutage dafür, ihre Kinder „empathisch und verständnisvoll“ zu erziehen.

Hat hier eine neue Generation die Deutungshoheit übernommen, die mit dem alten Geschlechterbild völlig gebrochen hat? Glaubt man den Ergebnissen der Soziologen beider Hochschulen, hat sich die Rolle der Väter radikal verändert. Fast jeder zweite (47,6 Prozent) gibt in der Umfrage an, sich gleichviel um familiäre Angelegenheiten zu kümmern wie der andere Elternteil. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um die Mutter, aber zum ersten Mal in einer größeren Studie wurden auch Elternpaare mit zwei Vätern untersucht. Um es gleich vorwegzunehmen: Sie unterscheiden sich in ihrer Haltung zum eigenen Nachwuchs in keiner Weise von heterosexuellen Eltern.

Den Gründen für diese neue Form der Gleichberechtigung sind die Forscherinnen und Forscher unter Leitung der Braunschweiger Soziologin Kim Bräuer in Einzelinterviews nachgegangen. Dort konnten sie feststellen, dass Väter nach der Geburt ihres Kindes oft die Erwerbsarbeit unterbrachen oder stark reduzierten, um sich mehr um die Versorgung und Erziehung ihres Nachwuchses zu kümmern. Sie folgten damit dem Prinzip der aktiven und involvierten Vaterschaft. Für fast 60 Prozent der befragten Männer stand die Zuneigung zum eigenen Kind ganz oben in der Werteskala dessen, was einen guten Vater ausmacht. Nur noch 1,4 Prozent stellten die finanzielle Sicherheit als wichtigste Eigenschaft heraus. Auch dem Kind vor allem etwas beizubringen, ist nur noch für zwölf Prozent der Väter von zentraler Bedeutung. Sie geben lieber das, was ihnen am wertvollsten ist, nämlich ihre Zeit. Dafür entscheiden sich gut 27 Prozent der männlichen Befragten.

Die Autoren der Studie sehen darin einen Wertewandel, nach dem Väter heute eher emanzipative, ökologische und emotionale Ziele in ihrer Familie verfolgen. Sie verlassen sich mehr und mehr darauf, dass der andere Elternteil, meist eben die Mutter, die finanzielle Versorgung übernimmt. Sogar die eigene berufliche Rolle wird hinterfragt. So glauben drei von vier Vätern, dass die Einspannung in den Job ihre Familienarbeit negativ beeinflusst. Umgekehrt fürchten aber zwei Drittel der Befragten, dass der Einsatz für den Nachwuchs ihnen Nachteile im Beruf bescheren könnte.

Der neue Einsatz für die Familie geht für die Männer sogar so weit, dass sie sich auch politisch und gesellschaftlich große Sorge um eine angemessene Ausstattung der Kitas mit Personal machen. Früher war das eher Frauensache. Viele Väter sind inzwischen bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren, um Mangellagen zu beheben – etwa das Fehlen geeigneter Erziehungsfachkräfte in den entsprechenden Einrichtungen.

Die Studie zeigt einen Wandel in der deutschen Gesellschaft hin zu postmateriellen Werten. Offenbar haben sich die Gewichte verschoben – es werden weniger die klassischen Vater-Mutter-Rollen gelebt, sondern die der partnerschaftlichen Aufteilung der Aufgaben. Das geht auch mit anderen Mentalitätsänderungen bei der jüngeren Generation zusammen. So stehen hier nicht mehr die Erwerbsarbeit und die Karriere im Mittelpunkt der persönlichen Lebensgestaltung. Das Zusammenleben mit dem Partner oder der Partnerin, die Fürsorge für die Kinder sowie Freundschaften und gegenseitige Hilfe haben einen ähnlichen Stellenwert. Manche Soziologen haben bereits festgestellt, dass viele Menschen dem Leben jenseits der Arbeit eine höhere Bedeutung einräumen als dem Fortkommen und Verdienst.

Die Studie der TU Braunschweig und der Fachhochschule Kiel sieht allerdings bei den Vätern durchaus eine Diskrepanz zwischen Einstellung und aktivem Handeln. So nehmen noch immer knapp 80 Prozent der Mütter eine längere Elternzeit. Und nur jeder zehnte Vater ist bereit, mehr Aufgaben in der gemeinsamen Kindererziehung zu übernehmen als die Partnerin. Dazu passt auch, dass die meisten männlichen Erziehungsberechtigten (84 Prozent) voll erwerbstätig sind, wobei sie mindestens 40 Stunden pro Woche an ihrem Arbeitsplatz verbringen. Auch wenn das jetzt häufiger im Homeoffice erfolgt. Die anderen Elternteile, vornehmlich Frauen, sind zu drei Vierteln maximal 30 Stunden für ihren Job aktiv. Viele Frauen bleiben nach wie vor auch ganz zu Hause – um sich der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder zu widmen.

Die Väter sehen durchaus dieses Manko. 60 Prozent würden gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, nur ein Drittel ist mit der aktuellen Situation zufrieden. Hinzu kommt, dass Väter den Wünschen ihrer Partner und Partnerinnen nachkommen, wenn die gerne einen größeren Teil für die Kinderarbeit aufwenden möchten. Das ist nach deren Aussagen bei 22 Prozent der Befragten der Fall. Und 58 Prozent der Väter und Mütter haben sich darauf geeinigt, dass die Frauen sich mehr für die Kinder engagieren. Das widerspiegelt auch den unterschiedlichen Grad der Integration der Geschlechter in den Arbeitsmarkt. Danach präferieren viele Mütter eher Teilzeitjobs, während das bei Vätern eher die Ausnahme ist.

Bis zur richtigen Aufteilung der Kinderarbeit ist es deshalb noch ein weiter Weg. Vielleicht wird sie nie ganz gleich sein. Aber die aktuelle Vätergeneration hat die klassische Rolle des Mannes definitiv hinter sich gelassen.

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