Zigaretten, Vapes und Co. Warum die Deutschen so viel rauchen

Analyse | Düsseldorf · Während andere Länder bald rauchfrei sein wollen, greift hierzulande weiter jeder Dritte zum Tabak. Unter jungen Erwachsenen ist der Konsum sogar wieder gestiegen. Was Influencer damit zu tun haben und wie die Raucherquote sinken könnte.

Derzeit greifen rund 32 Prozent der Deutschen regelmäßig zu Tabakprodukten wie der Zigarette.

Derzeit greifen rund 32 Prozent der Deutschen regelmäßig zu Tabakprodukten wie der Zigarette.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Die Zahl junger Raucherinnen und Raucher in Deutschland ist zuletzt stark gestiegen. Unter den 16- bis 29-Jährigen greifen statt sechs nun elf Prozent zur Zigarette, wie eine Umfrage der Krankenkasse KKH zeigt. Die Deutsche Befragung zum Rauchverhalten (Debra-Studie) beziffert die Zahl der Rauchenden in Deutschland im März 2023 auf rund 32 Prozent. Während andere Länder wie Schweden und Neuseeland auf gutem Weg sind, rauchfrei zu werden und Kanada nun sogar Warnhinweise auf jede einzelne Zigarette drucken will, hinkt Deutschland hinterher.

Zwar gibt es meist mehrere Faktoren, warum jemand zur Zigarette oder zu anderen Tabakprodukten greift. Dass es für junge Menschen wieder interessanter geworden ist, liegt für den Psychologen Reiner Hanewinkel aber auch an den Angeboten neben der klassischen Zigarette. „Es gibt neue Produkte, mit denen ein gewisses Image einhergeht und die vermeintlich nicht so risikobehaftet sind. In aller Regel enthalten sie aber Nikotin und das macht abhängig“, sagt Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) und Professor an der Universität in Kiel. Durch E-Zigaretten, Tabakerhitzer und die Renaissance der Shisha entstünde bei manchen der Eindruck, dass Rauchen nicht so schlimm sei. „Wenn man das erste Mal raucht, ist das an sich kein schönes Erlebnis. Durch die Aromen in E-Zigaretten schmeckt es aber besser, sie überdecken den Hustenreiz und man kann das leichter inhalieren“, sagt Hanewinkel.

Besonders bei Einweg-E-Zigaretten, die 500 bis 600 Züge ermöglichen und dann – wenig umweltfreundlich samt Akku – entsorgt werden müssen, gibt es unter Jugendlichen eine starke Nachfrage. „Diese Produkte machen sehr schnell abhängig, weil dort Nikotin in einer hohen Dosierung drin ist. Es schmeckt aber nicht wie klassische Zigaretten, sondern zum Beispiel nach Himbeere, sodass man das ständig zu sich nimmt und sich schleichend an das Nikotin gewöhnt“, erklärt Daniel Kotz, Universitätsprofessor für Allgemeinmedizin mit Schwerpunkt Suchtforschung und klinische Epidemiologie an der Universität Düsseldorf und Leiter der Debra-Studie, die den Tabakkonsum in Deutschland untersucht.

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Foto: DAK/Hanuschke+Schneider, gms

Neben den neuen Angeboten und deren Aufmachung ist der Umgang mit Tabakprodukten in den Medien, vor allem in sozialen Netzwerken, der zweite wichtige Faktor für das neue Rauchverhalten. Während die Außenwerbung zum Beispiel auf Plakaten seit 2022 in Deutschland immer weiter eingeschränkt wird, gibt es gerade unter Influencern kaum Beschränkungen. Zwar gelten etwa bei Instagram und Facebook Werbeverbote für E-Zigaretten. Nutzer können sich aber weiter rauchend präsentieren, auf der Plattform Tiktok gibt es drei Milliarden Beiträge unter #vaping. „Die Tabakindustrie verdient irre viel Geld und hat ein riesiges Werbebudget. Das stellen die jetzt nicht einfach ein, sondern versuchen weiterhin ihre Produkte zu bewerben – nur eben auf anderen Wegen“, sagt Kotz. Gerade bei der Vermarktung von Einweg-E-Zigaretten beobachte er, dass Influencer und bei Jugendlichen beliebte Musiker den Konsum als cool verkaufen. Auch, indem sie wie Rapper Haftbefehl eigene Produkte auf den Markt bringen.

„Das ist eine Imagewerbung, die aber nicht als Werbung, sondern als Livestyle daherkommt. Diesen Livestyle finden Jugendliche interessant und wollen ihn nachahmen“, fasst Hanewinkel zusammen. Ein positiveres Image und die Darstellung als alltägliches und nicht gesundheitsgefährdendes Genussmittel führe zu einem Probierverhalten. „Und der ein oder andere, der probiert, bleibt wegen des Nikotins daran hängen“, sagt Hanewinkel.

Wenn Jugendliche rauchen, kann das auch mit Prozessen des Erwachsenwerdens zusammenhängen: Vieles – auch Riskantes – ausprobieren, Dinge tun, die im Freundeskreis als cool gelten, um ein Teil der Gruppe zu sein, gegen die Eltern rebellieren. Die erste Zigarette ist nach wie vor ein soziales Ereignis, die wenigsten Jugendlichen rauchen das erste Mal alleine. Das Soziale und Sich-ausprobieren-wollen können Motivationen für den Einstieg sein. Irgendwann ist es aber keine leichte Entscheidung mehr, mit dem Rauchen aufzuhören und auf das Nikotin zu verzichten. Weil die meisten Raucher im Jugendalter oder als junge Erwachsene zur Zigarette finden, ist für die Experten genau hier ein Ansatzpunkt für Prävention.

Ein Weg sei, das Problembewusstsein in der Zielgruppe zu stärken, schlägt Hanewinkel vor. „Ich muss die Jugendlichen überzeugen. Und das geht vor allem über die Botschaft, dass Rauchen uncool ist“, sagt er. Neben dem Image von Tabakprodukten ist aber vor allem der einfache Konsum ein Problem. „Rauchen wird hier viel zu leicht gemacht und gleichzeitig die Rauchfreiheit nicht ausreichend gefördert“, sagt Kotz.

So seien Tabakprodukte in Deutschland sehr günstig. Laut Statista kostete eine Schachtel Zigaretten 2022 im Schnitt sieben, in Norwegen über 14 und in Australien sogar über 27 Euro. Gerade bei Jugendlichen, die in der Regel weniger Geld haben und preissensibler sind, könnte über den Preis ein Hemmnis eingebaut werden.

Auch in Sachen Verfügbarkeit, die suggeriert, dass Tabak etwas Alltägliches und Harmloses ist, gebe es Verbesserungsbedarf: „Wenn Sie in Deutschland in eine Tankstelle, einen Kiosk oder einen Supermarkt gehen, sind die Tabakprodukte greifbar und sehr prominent dargestellt“, erklärt Kotz. In Ländern wie Norwegen müsse man gezielt nach Zigaretten fragen, die dann – in brauner Einheitsverpackung nur mit Warnhinweis und ohne jegliches Marketing – unter der Ladentheke hervorgeholt werden.

Ein dritter, gesellschaftspolitischer Ansatz seien rauchfreie Lebenswelten, wie etwa die Niederländer sie in einigen Städten vorleben würden. Um die nächste Generation rauchfrei aufwachsen zu lassen und ihnen mit gutem Beispiel voranzugehen, gelten an anderen Orten, wo sich Jugendliche aufhalten, Rauchverbote. Dass auch Deutschland rauchfrei wird, hier also weniger als fünf Prozent der Erwachsenen und zwei Prozent der Jugendlichen rauchen, hält Kotz für möglich – wenn Tabakkontrollen strenger und der Konsum gerade bei Jugendlichen stärker eingeschränkt würde.

Die Politik müsse hier aktiv werden und sollte sich mit Blick auf die Legalisierung von Cannabis nicht allzu viel Zeit lassen. Denn dass damit auch die Zahl der Raucherinnen und Raucher steigt, „ist zu befürchten. 80 bis 90 Prozent der Konsumierenden rauchen Cannabis am liebsten zusammen mit Tabak“, sagt Kotz. Gewöhnungseffekte und ein Anstieg des Tabakkonsums seien daher möglich.

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