Welt-Down-Syndrom-Tag „Behindert“ ist kein Schimpfwort
Meinung · Gleichstellungsbeauftragte und Inklusionshelfer tun ihr Bestes, trotzdem ist Behinderten-Feindlichkeit alltäglich. Dass die Sesamstraße nach 50 Jahren eine Figur im Rollstuhl einführt, hilft da auch nur bedingt.
Im allerbesten Fall wäre es gar keine Meldung wert gewesen. „Freche Elin zieht ein – ‚Sesamstraße‘ bekommt Bewohnerin mit Rollstuhl“ titeln diverse Medien in diesen Tagen. Die beliebte Kinderserie werde endlich inklusiver, die Figur sei revolutionär für das deutsche Fernsehen, schreibt etwa der „Spiegel“. Das ist eigentlich beschämend für das Jahr 2023. Denn Menschen mit Behinderungen sind unbestrittener Teil der Gesellschaft und sollten so selbstverständlich vorkommen wie solche mit verschiedenen Haut- und Haarfarben. Sie sind, im positiven Sinne, nichts Besonderes – auch wenn die NDR-Sendung das insinuiert.
Denn Rollstuhlfahrerin Elin ist laut den Autoren noch dazu technikbegeistert, frech,mutig und selbstbewusst. Das wirkt ein bisschen so, als müsste die körperliche Beeinträchtigung durch vermeintlich besonders starke Charaktereigenschaften ausgeglichen werden. Damit bildet die Fernsehshow unbeabsichtigt die behindertenfeindliche Realität perfekt ab. Denn Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderungen, im Fachjargon Ableismus, ist im Alltag oft präsent. Nicht immer ist das gewollt, oft ist es Menschen gar nicht bewusst, was sie mit bestimmten Äußerungen sagen.
„Bist du behindert?“ ist so ein Satz, der immer noch inflationär auf Schulhöfen oder in Cliquen gebraucht wird und eigentlich meint: „Bist du bescheuert?“ Ähnlich ist es mit dem Wort „Spasti“, dessen medizinischer Hintergrund einer spastischen Lähmung wohl den Wenigsten bekannt ist, die andere so betiteln. Dass eine Spastik sich auf eine rein körperliche Einschränkung bezieht, macht die vulgäre Verwendung nur noch sinnfreier. Genauso wie „schwul“ keine Beleidigung ist, ist „behindert“ also kein Schimpfwort. In solchen Situationen helfen weder Kampagnen noch Sesamstraßenfiguren – sondern nur Zivilcourage. Dagegenhalten ist das einfachste und mindeste, darauf zu reagieren ist Pflicht – egal ob Freund, Arbeitskollege oder im Bekannte.
Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen, oder es wenigstens probiert zu haben im Gespräch. Dafür braucht es keinen Anlass wie den Welt-Down-Syndrom-Tag, an dem als Zeichen der Vielfalt dazu aufgerufen wird, bunte, unterschiedliche Socken zu tragen – ein eher diskretes, letztlich wenig wirksames Zeichen. Viele Menschen mit Behinderung wollen auch gar nicht hervorgehoben, als „besonders“ betrachtet werden für das, was sie haben oder „trotzdem“ können. Menschen mit Downsyndrom sind nicht doof – oder eben genauso doof wie alle anderen auch. Der NDR sei aufgefordert, das Potenzial behinderter Menschen sichtbar zu machen und zur Aufgeschlossenheit ihnen gegenüber beizutragen, teilt der Gleichstellungsbeauftragte zur Sesamstraßen-Neuerung mit. Wenn Elin im Herbst das erste Mal zu sehen ist und niemandem besonders auffällt, dann ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gemacht.