Vier Oscars für „Im Westen nichts Neues“ Der richtige Film zur richtigen Zeit

Meinung | Los Angeles · Der Oscar-prämierte Film „Im Westen nichts Neues“ ist ein Mahnmal gegen den Irrsinn des Krieges. Warum es auch heute so wichtig ist, seine Geschichte zu kennen.

Regisseur Edward Berger (vorne) nimmt den Preis für „Im Westen nichts Neues“ aus Deutschland für den besten internationalen Spielfilm bei der Oscar-Verleihung entgegen. Hinten stehen Daniel Brühl (l-r), Malte Grunert, Albrecht Schuch, Felix Kammerer, Antonio Banderas und Salma Hayek.

Regisseur Edward Berger (vorne) nimmt den Preis für „Im Westen nichts Neues“ aus Deutschland für den besten internationalen Spielfilm bei der Oscar-Verleihung entgegen. Hinten stehen Daniel Brühl (l-r), Malte Grunert, Albrecht Schuch, Felix Kammerer, Antonio Banderas und Salma Hayek.

Foto: dpa/Chris Pizzello

Zwei Oscars für „Im Westen nichts Neues“! Als bester Film. Und für die beste Regie. Doch als der Film nach Zulassung durch die oberste Filmprüfstelle fürs deutsche Publikum zugelassen wird und in die deutschen Kinos kommt, ist bei manchen die Empörung groß: Im Berliner Kino am Nollendorfplatz werden Stinkbomben geschmissen und Zuschauer geprügelt, bis die Filmvorführung schließlich abgebrochen werden muss. Es ist Dezember 1930, und Nazi-Schlägertrupps versuchen einen Film zu verhindern, der keine Kriegshelden kennt, sondern nur Kriegsopfer. Die Nazis haben mit ihrer deutschlandweit organisierten Randale Erfolg: Nur wenige Tage später wird der Film in Deutschland zeitweilig verboten. Als Gründe nennt die Prüfstelle jetzt die „Gefährdung des deutschen Ansehens in der Welt“, eine „Herabsetzung der deutschen Reichswehr“ sowie eine „ungehemmte pazifistische Tendenz“.

Aber muss man an diese Ereignisse vor mehr als 90 Jahren erinnern, da die deutsche Neuverfilmung in Los Angeles gerade eben mit vier Oscars prämiert wurde? Ja. Um dem Ereignis ein wenig jenen Glamour zu nehmen, mit dem sich das Filmspektakel zuckersüß schmückt. Weil die berechtigte Freude der Geehrten in eine Zeit fällt, in der die Kriegsgefahr weltweit massiv steigt und seit über einem Jahr Krieg in Europa herrscht. Von einem Abnutzungskrieg in der Ukraine ist oft die Rede. Viele denken da an Panzer, Geschütze etc. Was Abnutzungskrieg aber wirklich für die Menschen heißt, zeigt „Im Westen nichts Neues“, der alte und der neue: das Krepieren junger Menschen im Kampf um ein paar Meter im Schlamm, die Angst, die Wut, die irrwitzige Begeisterung.

Erich Maria Remarque, Autor des Romans, hat immer wieder betont, dass sein Buch ohne Tendenz sei, kein politisches Ziel verfolge. Das mag irritieren. Aber vielleicht ist genau das seine Stärke: nüchtern zu zeigen, was ist, nur die Schreie der Sterbenden hörbar und die Tränen der Verzweifelten sichtbar zu machen. „Im Westen nichts Neues“ gehört zu den wirklichen Antikriegsbüchern und –filmen. Zu viele Produktionen heften sich dieses Etikett an, hinter dem dann doch wieder kleinere und größere Heldengeschichten in einem filmisch aufgemotzten Spektakel hervorschimmern. Nichts davon bei Remarque. Der Film mit seinem bewusst unübersichtlichen Kriegsgeschehen ist ein pechschwarzes Mahnmal, so eindringlich wie auch die Verfilmung des Manfred Gregor Romans „Die Brücke“ von 1959.

Der richtige Film also zur richtigen Zeit? Auch das kann man bejahen, doch es wäre viel zu wenig. Der Film hat eine viel universellere Aussage, als nur für einen Abgleich mit der Gegenwart dienlich zu sein. Das war damals so, und das ist es auch heute. Es waren ja nicht nur die Nazis, die 1933, nachdem sie an die Macht gekommen waren, den Film endgültig verboten. Zuvor durfte der Film schon in Italien und Österreich nicht gezeigt werden, nach 1949 auch in der damaligen Sowjetunion nicht. Die Mächtigen in Europa schienen sich Sorgen um die Kriegsbegeisterung der eigenen Landsleute zu machen.

Die Freude jetzt über vier Oscars in den Sparten „Bester internationaler Film“, „beste Kamera“, „bestes Produktionsdesign“ und „beste Filmmusik“ ist natürlich berechtigt. Für die Geehrten und den Film, der auch dadurch eine noch größere Aufmerksamkeit bekommt. Aber wir sollten auch schätzen, was uns hierzulande im Jahr 2023 so selbstverständlich ist: dass wir nämlich den Film ohne Angst überall sehen dürfen, dass wir über ihn reden und diskutieren können.  Krieg war und ist ein Irrsinn. Diese fassungslos machende Kontinuität erzählt nicht nur der Film selbst. Für seine Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“ wurde der US-amerikanische Regisseur Lewis Milestone (1895-1980) mit einem Oscar geehrt. Er stammte aus der Ukraine.

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