Ausländische Pflegekräfte Der Mindestlohn als Tropfen auf den heißen Stein

Meinung | Düsseldorf · Um die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte aus dem Ausland zu verbessern, reicht ein Gesetz zum Mindestlohn nicht. Es dürfte für die Familien mit Pflegebedürftigen sogar dramatische Folgen haben.

 Häusliche Pflege heißt oft: 24 Stunden am Tag da sein.

Häusliche Pflege heißt oft: 24 Stunden am Tag da sein.

Foto: Gabriel Werner/Gabriel, Werner

Es ist eine Schattenarmee, die den Deutschen da hilft, wo es an menschlichen Nöten ganz besonders drängt: Alte, schwache, kranke und mitunter auch einsame Personen medizinisch zu pflegen, sozial zu umsorgen, einfach da zu sein – tagtäglich, oft 24 Stunden. „Live in“-Kräfte heißen die Helfer, die bei Pflegebedürftigen wohnen und zu einem großen Teil aus dem osteuropäischen Ausland kommen. Auch weil es eine vergleichsweise billige Lösung ist – zumeist auf Kosten der Arbeitskräfte. 

Dass sich dies ändern muss, bestätigt auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG): Pflegekräften aus dem Ausland, die in Deutschland Patienten betreuen, steht der deutsche Mindestlohn zu, entschieden die Richter am Donnerstag in Erfurt. Dies gilt demnach auch für Bereitschaftszeiten, in denen die Kräfte Betreuung auf Abruf leisten, also etwa mit im Haushalt leben. So richtig und wichtig es ist, der ausbeuterischen Praxis rechtlich einen Riegel vorzuschieben und so mutig es von der bulgarischen Pflegerin war, ihre Rechte einzuklagen – so groß sind leider die Lücken, die es im System hervorbringt.

Das eine Problem ist, dass der gesamte Bereich ausländischer Pflegekräfte unreguliert ist, selbst da, wo er legal abläuft: Durch fehlende Qualitätsstandards ist eine Kontrolle von Kräften einer seriösen Vermittlungsagentur kaum möglich. Zumal ihr Arbeitsort ja ein Privathaushalt ist. Auch viele Arbeitnehmerrechte gelten für die Kräfte nicht: Angefangen beim Arbeitszeitgesetz, das eine tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden zulässt und eine elfstündige Ruhepause zwischen den Arbeitseinsätzen vorschreibt. Auch bezahlter Urlaub und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall werden ihnen fast immer vorenthalten.

Das Bundesgesundheitsministerium schätzt, dass bis zu 700.000 Betreuungspersonen aus Osteuropa in 300.000 deutschen Haushalten arbeiten. Allein in NRW sind es etwa 70.000 Haushalte, die Kräfte aus Polen, Tschechien, Rumänien und anderen osteuropäischen EU-Staaten beschäftigen – zum Großteil schwarz, aus Kostengründen. Wenn von nun an der Mindestlohn gilt, wird eine 24-Stunden-Pflege für etliche Angehörige praktisch unbezahlbar. Branchenverbände befürchten infolge des Mindestlohn-Urteils zu Recht ein „Armageddon“ für die häusliche Pflege.

Viele Familien, viele Berufstätige sind vollkommen angewiesen auf einer Rund-um-Versorgung ihrer Angehörigen, und zwar eine, die sie finanziell stemmen können. Mit dieser Not werden mutmaßlich jetzt noch mehr Geschäfte gemacht, der Schwarzmarkt dürfte noch mehr Zulauf finden – und kann die Preise ebenfalls anheben. Auf den deutschen Mindestlohn werden diese Menschen in der Summe dann wohl trotzdem nicht kommen. Ganz abgesehen von anderen Arbeitnehmerrechten.

Der Fehler liegt im System, das in der nächsten Legislaturperiode mit der Pflegereform in Gänze angepackt werden muss. Nicht nur der große Graubereich ausländischer Pflegekräfte muss besser reguliert werden, auch für Deutsche muss der Pflegeberuf dringend wieder attraktiver werden.

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