Ukraine-Krieg Der Kampf um rote Linien

Meinung · Die Kritiker von Waffenlieferungen an die Ukraine drängen die Bundesregierung und Kanzler Scholz auf die Festlegung roter Linien. Warum das verständlich, aber falsch ist.

Kampfflugzeuge vom Typ F-16 der polnischen Luftwaffe nehmen in Siauliai (Litauen) an einer multinationalen NATO-Militärübung. Über eine mögliche Lieferung von Jets an die Ukraine geht der Streit um Waffenlieferungen in die nächste Runde.

Kampfflugzeuge vom Typ F-16 der polnischen Luftwaffe nehmen in Siauliai (Litauen) an einer multinationalen NATO-Militärübung. Über eine mögliche Lieferung von Jets an die Ukraine geht der Streit um Waffenlieferungen in die nächste Runde.

Foto: dpa/Mindaugas Kulbis

Im Augenblick wird viel von roten Linien gesprochen. Bezogen auf den Ukraine-Krieg sahen viele eine solche Grenze bei Panzerlieferungen. Seit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sich zur Unterstützung der Ukraine mit Leopard-Panzern bereit erklärt hat, liegt jetzt die rote Linie bei der Versendung von Kampfflugzeugen. Gerade eben hat US-Präsident Biden ein klares Nein ausgesprochen. Andere finden, dass die Einrichtung von Flugverbotszonen, die Lieferung von U-Booten und Kriegsschiffen oder gar die Entsendung von Nato-Truppen auf der Tabu-Liste stehen sollten. Rote Linien teilen die Öffentlichkeit. Mit jeder Überschreitung, so die Kritiker der Waffenlieferungen, rückt das Risiko eines Krieges näher. Umgekehrt reizt die Festlegung von Linien die Befürworter, solche Grenzen infrage zu stellen. Zudem können rote Linien dem Kriegsherrn Wladimir Putin signalisieren, wie weit er gehen kann, ohne unabsehbare Reaktionen des Westens befürchten zu müssen.

Klar ist, die Setzung roter Linien ist ein Signal nach innen wie nach außen. Da im Westen die Frage, wie intensiv die Ukraine unterstützt werden soll, umstritten ist, begrenzen hier rote Linien den Handlungsspielraum der Politik. Das Publikum nimmt deshalb mehrheitlich rote Linien dankbar auf, weil die verständlicherweise die eigene Kriegsangst begrenzen. Wer also rote Linien aus innenpolitischer Sicht akzeptiert, will damit sichtbar für die eigene Bevölkerung das äußere Risiko vermindern. Übersetzt in den Streit um Waffenlieferungen heißt das: Zur Not können wir Kampfpanzer liefern, aber bei Jagdflugzeugen hört die Bereitschaft auf.

Doch solche klaren Festlegungen sind eine Schimäre. Zunächst weiß der militärische Gegner, in diesem Fall die Russen, wo die Unterstützung aufhört. Putin kann danach seine Strategie ausrichten, sofern er die Festlegung für gesetzt hält. Das bringt ihm aber einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Er verzichtet beispielsweise auf riskante Panzeroffensiven und verlegt die Kriegführung komplett auf Raketen- und Drohnenangriffe aus der Luft. Denn Flugzeuge muss er nicht fürchten.

Im brutalen Spiel des Krieges wird aber die unterstützende Partei den Gegner besser im Unklaren darüber lassen, wie weit die Unterstützung gehen soll. Bislang hat die Debatte um Waffenlieferungen diesen Dienst unabsichtlich geleistet. Putin konnte nicht wissen, wer in dieser Diskussion obsiegt. Wenn aber die maßgeblichen Politiker für sich öffentlich rote Linien ziehen, müssen sie aus Gründen der Glaubwürdigkeit daran festhalten, selbst wenn sie die eigene Sache beschädigen.

Deshalb ist die politische Führung eines demokratischen Landes gut beraten, solche Linien nicht zu definieren. Sie könnte dann je nach Lage die Unterstützung flexibel halten, den Gegner im Unklaren lassen und ein mögliches Überraschungsmoment nutzen. Man muss kein Militärstratege sein, um das einzusehen. Die Bevölkerung in einer Demokratie wird eine solche Haltung allerdings als Zumutung empfinden. Man will von der Regierung wissen, wie sie sich in bestimmten Konstellationen verhält. Schließlich kommt der Steuerzahler für die militärischen Kosten auf. Und die Soldatinnen und Soldaten müssen im Extremfall sogar ihren Kopf hinhalten, wenn es selbst für eine Beteiligung der Nato keine rote Linie gibt.

Der Druck der Öffentlichkeit erzwingt, ein Konzept aufzugeben, dass keinerlei Festlegungen trifft. Sonst droht der Regierung der Verlust der Unterstützung durch die Mehrheit. Insofern ist der Grundsatz der Nichtbeteiligung der Nato richtig. Aber beim Grad der Unterstützung sind rote Linien eine Hilfe für den Aggressor und ein Nachteil für die helfenden Länder. So sehr sich Kanzler Scholz gegen die Lieferung von Kampfflugzeugen sträubt, nachdem er gerade erst Panzer an die Ukraine geliefert hat, so klug ist es, eine solche Unterstützung nicht völlig auszuschließen. Das sagt auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die wahrlich nicht zu den Kriegstreibern in dieser Debatte zählt. Natürlich kann man Kampfjets nicht kategorisch ausschließen, wenn mit ihrer Lieferung eine russische Totalzerstörung der Ukraine aufgehalten werden kann. Auch Scholz, so nervig er die neue Debatte findet, zieht hier keine endgültige rote Linie. Das ist richtig. Er sollte sich weder in die eine wie die andere Richtung beeinflussen lassen, sondern weiterhin den Zielen folgen, für die mehrheitlich ein Einvernehmen gibt – die Verteidigung der Ukraine, die Nichtbeteiligung der Nato am Krieg und der Zusammenhalt des Westens. Der Rest muss flexibel sein.

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