Die Stimmung in der Bevölkerung droht zu kippen Die Deutschen sind das schwächste Glied im Kampf gegen Putin

Analyse | Düsseldorf/Kiew · Pöbeleien gegen Ukrainer, Energiepreisschock und Fake-News aus Russland – ein explosives Gemisch bestimmt vor dem Winter die Atmosphäre in Deutschland. Besteht die Ukraine-Hilfe diesen Härtetest?

Menschen gehen in Magdeburg gegen die Energiepolitik und die Russlandsanktionen der Bundesregierung demonstrieren.

Menschen gehen in Magdeburg gegen die Energiepolitik und die Russlandsanktionen der Bundesregierung demonstrieren.

Foto: dpa/Thomas Schulz

Die deutschen Montagsdemonstranten in Leipzig ließen ihrer Wut freien Lauf. „Ihr Schweine verpisst euch, ihr lebt auf unsere Kosten“, schleuderten sie einer Gruppe von Ukrainern entgegen, die sich mit Fahnen ihres Landes zu einer Gegendemonstration versammelt hatten. Und besonders absurd: „Nazis raus!“ Eins zu eins übernehmen auch „Energie-Demonstranten“ in anderen Städten – vor allem in Ostdeutschland – die Propaganda von Kreml-Chef Wladimir Putin, der in der Ukraine nur einen künstlichen Vorposten der Nato sieht, der Russland mit Nazi-Methoden vernichten soll.

Die Stimmung in Deutschland ist angeheizt. Seit die russische Seite ihre Energielieferungen wegen der Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine drastisch zurückgefahren hat und sich die Preise für Gas und Öl vervielfachen, schrumpft die Solidarität mit dem überfallenen Land. Symptomatisch die Stammtischparole des Pop-Moderators Dieter Bohlen, der auf einer Veranstaltung der „Entrepreneur University“ plötzlich die Strafmaßnahmen gegen Russland infrage stellte. „Also wenn wir die Sanktionen nicht gemacht hätten, wenn man sich vernünftig an einen Tisch gesetzt hätte, dann bräuchten die Leute jetzt nicht den ganzen Firlefanz machen. Jetzt müssen die Leute frieren“, wetterte der Musikproduzent.

Bohlen trifft eine in Deutschland weitverbreitete Stimmung. Jeder vierte Befragte spricht sich im jüngsten ARD-Deutschlandstrend des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap dafür aus, dass Deutschland die Ukraine zu Zugeständnissen an Russland drängen soll, wenn so eine diplomatische Lösung möglich wäre. Und weitere 34 Prozent beantworten diese Frage „eher mit ja“. Damit will indirekt eine Mehrheit der Deutschen den Russen entgegenkommen, um womöglich wieder günstigere Energielieferungen zu erhalten. Der brutale Angriff auf die Ukraine, der Cyber-War des Kremls gegen den Westen und die möglichen Sabotage-Akte an den Gas- und Ölleitungen, die zwar unbewiesen sind, aber perfekt ins russische Kalkül passen, spielen da nur noch eine untergeordnete Rolle.

Der deutsche Terrorismus-Experte Peter Neumann, der am King’s College in London Sicherheitspolitik lehrt, bringt es auf den Punkt. Die hybride Kriegsführung Putins soll den Westen spalten. Und dazu nutzt die russische Führung alle Instrumente der nationalen Macht. „Und aus ihrer Sicht eines der schwächsten Glieder ist die deutsche Bevölkerung“, sagte der Strategie-Experte in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. Dem Kreml komme es darauf an, die Deutschen davon zu überzeugen, dass die Unterstützung der Ukraine aufhören müsse.

In dieser Frage ist Russland ziemlich weit gekommen. Die Montagsdemonstrationen in Ostdeutschland nehmen an Fahrt auf, in vielen Städten versammeln sich inzwischen regelmäßig mehr als tausend Demonstration, wie zuletzt in Leipzig, Magdeburg, Cottbus oder Chemnitz. Initiatoren sind rechtspopulistische, nicht selten auch rechtsextreme Gruppierungen wie etwa die „Freien Sachsen“. Auch die Linke hat das Mobilisierungspotenzial erkannt. Während der außenpolitische Sprecher Gregor Gysi noch treuherzig beteuert, er gehe darum, den Protest in demokratischen Bahnen zu halten, ist die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht schon deutlicher. Sie warf im Bundestag der deutschen Regierung vor, „einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“. Das kommt an bei vielen Menschen, die sich vermehrt Sorgen um die wirtschaftliche Stabilität machen und nicht wissen, wie sie die horrend gestiegenen Strom- und Gasrechnungen bezahlen sollen. Dass Putins Krieg gegen die Ukraine ein Verbrechen darstellt, räumt Wagenknecht zwar ein, zieht aber keinerlei Konsequenzen daraus.

Immerhin erlebt die Linkspartei, die durch Sexismus-Vorwürfe und Richtungskämpfe schon stark geschwächt war, derzeit leichte Zugewinne. Die Partei, die ohne ihre drei Direktmandate nicht in den Bundestag eingezogen wäre, kommt inzwischen im ARD-Deutschlandtrend wieder auf gut fünf Prozent. Die rechtspopulistische AfD, die noch klarer gegen Sanktionen Stellung bezieht, liegt sogar bei 15 Prozent, vier Punkte hinter der SPD, die immerhin mit Olaf Scholz den Kanzler stellt. Begünstigt wird dieser Trend durch die schwache Kommunikation der Bundesregierung. Sie schafft es kaum, die Bevölkerung auf schwere Zeiten einzustimmen und trotzdem Hoffnung zu verbreiten. „Scholz versucht es mit Merkel-Sprech, aber der kommt in Deutschland nicht mehr an. In dieser Krise wird eine solche Art zu reden zur Karikatur ihrer selbst“, meint der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger. „Das sind schlechte Bedingungen, um die Unzufriedenheit, die im Winter zunehmen wird, abzudämpfen“, ergänzt der Professor.

Der Russlandexperte geht davon aus, dass Putin diese zunehmende Stimmung gegen weitere umfangreiche Militärhilfen für die Ukraine befeuern wird. „Der Kreml sieht in der deutschen Öffentlichkeit jedenfalls einen lohnenswerten Angriffspunkt, um die Unterstützung der EU zu kippen. Deshalb schickt er seine Propagandisten tagtäglich aus“, meint der Kölner Wissenschaftler. Neben der Verbindung zu Parteien, die wie die AfD einen teilweise offen putin-freundlichen Kurs fahren, sind es auch die Kreml-Medien wie der deutschsprachige „Russia today“-Ableger RT DE, der eigentlich in der EU verboten ist. Der Online-Dienst verbreitet Falschnachrichten und Putin-Propaganda aber weiterhin im deutschen Netz und ist leicht über andere Webseiten zu finden. Auch die großen Internet-Netzwerke wie Google haben das Portal noch nicht aus ihrer Suchmaschine genommen.

Kippt also die Stimmung in einem harten Winter? Ausgemacht ist das noch nicht. „Aus den Reihen der Russland-Unterstützer ist niemand rhetorisch befähigt, die Unzufriedenheit einzusammeln, der gleichzeitig als vertrauenswürdig gilt“, meint der Politikwissenschaftler Jäger. Die Regierung könnte sich also irgendwie durch den Winter mogeln.

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