Twitter-Übernahme Musk verliert mit seinem Sinneswandel letzten Rest an Glaubwürdigkeit

Meinung | Washington · Tesla-Chef Musk wollte den Kurznachrichtendienst Twitter übernehmen. Dann ließ er den Deal platzen, Twitter klagte dagegen. Kurz vor Prozessbeginn will er jetzt den ursprünglichen Deal. Wie sich das erklären lasst und welche Folgen sein Sinneswandel hat.

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Das ist Elon Musk

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Foto: dpa/Benjamin Fanjoy

Elon Musk hat kalte Füße bekommen. Anders lässt sich kaum erklären, warum er kurz vor Beginn des von Twitter angestrebten Prozesses in Delaware klein beigibt. Von den grandiosen Vorwürfen über eine bewusste Täuschung des Konzerns vor dem 44-Milliarden-Dollar-Kauf im April bleibt nicht mehr übrig als die Tweets, in denen er sie behauptet hat.

Seine Anwälte haben dem sprunghaften Milliardär aus den Erfahrungen der Erkundungsphase des Prozesses wohl gesagt, dass seine Chancen gering ausfallen, sich aus dem Deal herauszuwinden. Die Richterin wollte Beweise sehen, dass die Spam-Bots ein gravierendes Problem darstellten. Und der Käufer nicht davon gewusst haben konnte.

Einmal mehr beweist Justitia damit ihre Unabhängigkeit. Sie lässt sich weder von den politisch noch wirtschaftlich Mächtigen beeindrucken, die sich einen Sport daraus machen, andere hinters Licht zu führen. Egal, ob sie Donald Trump oder Elon Musk heißen. Vor Gericht zählen allein die Fakten. Und die finden sich nicht auf der Seite des Tesla-Milliardärs.

Dieser verliert mit seiner Rolle Rückwärts den letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Durch sein eigenes Verhalten nährt er den Verdacht, wirklich nur nach einem Vorwand gesucht zu haben, aus einem Deal auszusteigen, den er im Nachhinein bedauert. Wie ein Kunde, der nach dem Erwerb des neuen Autos feststellt, dass er viel zu viel ausgegeben hat. Mit dem Unterschied, dass Musk Milliarden überbezahlt.

Einen Teil der Zeche müssen nun die Banken begleichen, die ihm das Geld für die Finanzierung zur Verfügung gestellt haben. Weil sich der Enthusiasmus potenzieller Investoren in Grenzen hält, kostet sie der doppelte Salto des Tesla-Chefs ein Vermögen.

Der Vertrauensverlust ist ein noch größeres Problem für Musk mit Blick auf die Mitarbeiter des Konzerns. Dort bestanden von Anfang an Vorbehalte gegen den Milliardär, der denkbar naive Vorstellungen von dem hat, was Rede- und Meinungsfreiheit bedeuten. Statt die Maßnahmen zu unterstützen, die Twitter und andere Netzwerke im Internet nach einem schmerzhaften Prozess ergriffen haben, um den fairen Diskurs in Demokratien zu schützen, möchte er diese wieder abschaffen.

Trump, Putin und Co wird das erfreuen. Sie haben mit Musk einen nur zu bereitwilligen Helfer gefunden, der ihnen eine große Bühne mit einem gewaltigen Lautsprecher aufbauen will. Die offensive Verbreitung von Lügen und Propaganda im Namen der Meinungsfreiheit zu erlauben, gefährdet diese in letzter Instanz.

So gesehen ist das Nachgeben des Milliardärs kurz vor Prozessbeginn eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits kommt Musk mit seinem erratischen Verhalten vor Gericht nicht durch. Gleichzeitig lässt die Übernahme Twitters durch einen libertären Träumer um Konsequenzen für Demokratien fürchten.

Vielleicht erledigt sich Angelegenheit von selber durch einen „Brain-Drain“. Damit gemeint ist der Verlust qualifizierter Mitarbeiter, die nicht für Musk tätig sein wollen. Mit seinem Verhalten bei der Übernahme hat er den Talenten im Konzern jeden Grund gegeben, sich nach neuen Aufgaben umzuschauen.

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