Tarifabschluss im öffentlichen Dienst Zu teuer – aber auch innovativ

Meinung · Der am Wochenende gefundene Kompromiss im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes dürfte Bund und Kommunen stark belasten. Ein Sieg der Vernunft war er aber trotzdem.

 Mitglieder der Gewerkschaften dbb und GdS demonstrieren vor Beginn der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Am späten Samstagabend einigten sich die Tarifpartner in Potsdam auf einen Kompromiss.

Mitglieder der Gewerkschaften dbb und GdS demonstrieren vor Beginn der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Am späten Samstagabend einigten sich die Tarifpartner in Potsdam auf einen Kompromiss.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Sicher, die ständigen Dauerstreiks waren lästig und überzogen. Und die Kommunen müssen mit 17 Milliarden Euro den Deal teuer bezahlen. Aber der Kompromiss im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen hat auch innovative Komponenten, die eine drohende Lohn-Preis-Spirale oder Preis-Lohn-Spirale in Deutschland erst einmal verhindern können.

Zunächst ist es freilich der Gewerkschaft Verdi gelungen, den höchsten Tarifabschluss in der jüngeren Geschichte durchzusetzen. Die niedrigen Lohngruppen wie Reinigungshilfen oder Müllwerker erhalten Gehaltszuwächse von gut 13 Prozent in den nächsten zwei Jahren. Das ist deutlich mehr als die Preissteigerungsrate für 2023 und 2024. Am Ende bliebt also real deutlich mehr im Portemonnaie. Es sei den hart arbeitenden Menschen gegönnt. Aber auch die besser verdienenden Angestellten profitieren von den Lohnerhöhungen, die über der voraussichtlichen Inflationsrate liegen. Das konnte Verdi durchsetzen, weil der öffentliche Dienst – anders als die Metall- oder Chemieindustrie – nicht im internationalen Wettbewerb steht. Die Kommunen werden das zu spüren bekommen und viele wichtigen und dringend notwendige Investitionen im Schulbau, in der Infrastruktur und bei der Digitalisierung nicht ausführen können. Das gehört zur Passivseite des Abschlusses.

Aber es gibt auch positive Signale. Die steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung von 3000 Euro ist ein sofort wirksamer Inflationsausgleich und könnte Modell stehen für andere Abschlüsse – gerade auch in wettbewerbssensiblen Bereichen. Denn bei einem prozentualen Inflationsausgleich würde das Lohnniveau insgesamt womöglich zu stark ansteigen und den notwendigen Aufschwung behindern. So werden die Arbeitnehmer entlastet, während gleichzeitig der Lohnanstieg mit 5,5 Prozent plus Sockelbetrag einigermaßen adäquat ausfällt. Der Staat und die Sozialversicherungen helfen mit der Abgabenfreiheit aus und verhindern damit überzogene Abschlüsse, die weitere Preissteigerungen nach sich ziehen.

Die Abgabenfreiheit ist ein Ergebnis der Konzentrierten Aktion, die Bundeskanzler Olaf Scholz trotz der Tarifautonomie ins Leben gerufen hat. Sie zahlt sich jetzt aus – und könnte zur Befriedung in den derzeitigen Verteilungskämpfen beitragen. Das ist der innovative Beitrag des jetzigen Tarifabschlusses. Trotzdem bleibt die Situation weiterhin heikel. Denn einerseits dürfen die Arbeitnehmer nicht die alleinigen Leidtragenden der jetzigen Energie- und Inflationskrise sein. Denn sie können – anders als die Wirtschaft – nicht in preisgünstigere Länder ausweichen. Andererseits brauchen sowohl die öffentliche Hand als auch die Unternehmen Luft zum Atmen. Denn in beiden Bereichen stehen wichtige Investitionen an, die finanziert werden müssen. Fehlt das Geld, werden die Lohnabschlüsse in Zukunft weit geringer ausfallen müssen. Deshalb ist Zurückhaltung durchaus auch im Interesse der Arbeitnehmer. Es wird gleichwohl schwierig sein, beides unter einen Hut zu bekommen.

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