Russlands Krieg zerbrach Weltbild Freund und Feind in der Politik

Meinung · Putins Krieg gegen die Ukraine hat auch ein optimistisches Weltbild zusammenbrechen lassen. Was es politisch bedeutet, wieder von Feinden zu sprechen.

Ukraine: Ein Jahr Krieg - Die wichtigsten Fotos
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Ein Jahr Krieg in der Ukraine

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Foto: dpa/Emilio Morenatti

Das friedliche Ende des Kalten Krieges beendete auch die simple Unterscheidung der politischen Welt in Freunde und Feinde. Im neuen Weltbild war nicht mehr Schwarz-Weiß-Denken, sondern waren Grautöne gefragt, die immer rosiger wurden. Kurz vor der Jahrtausendwende sah es ganz so aus, als werde die Welt allein durch Dialog und globalen Handel immer demokratischer und friedlicher. Wenn Staaten durch Handel so miteinander verflochten sind, dass sie sich selbst schaden, wenn sie Krieg anfangen, werden sie das auch nicht tun – das klingt nur logisch. Und wenn sie es doch tun, dann muss sich jemand geirrt haben. Und diesen Irrtum kann man ausräumen, indem man in einen Dialog tritt, oder etwa nicht?

Der Historiker Elazar Barkan verkündete eine neue Epoche der Geschichte: Internationales Recht und internationale Moral hätten die alte Machtpolitik abgelöst, für die das Recht des Stärkeren galt. Streitkräfte und die Nato schienen überflüssig geworden, Relikte antiquierten Denkens.

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist daher auch ein ganzes Weltbild zerbrochen: Den Irrtum, die Welt sei ein Ort des Friedens, des internationalen Rechts und des moralischen Dialogs geworden, hat Wladimir Putin widerlegt. Auch die falsche Idee, politische Irrtümer ließen sich im Dialog beseitigen. Die Ukraine führt uns täglich vor, dass Selbstbestimmung nur möglich ist, wo Menschen eindeutig zwischen Freund und Feind unterscheiden und bereit sind, auch ihr Leben im Kampf gegen den Feind einzusetzen.

Diese Beschreibung der Dinge widerstrebt uns. Wer möchte schon den Glauben an einen vernünftigen Dialog im gemeinsamen Interesse für etwas so Antiquiertes eintauschen wie die Unterscheidung des umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt zwischen Freund und Feind? Wer ist schon psychologisch fähig, in so kurzer Zeit sein gesamtes Weltbild über den Haufen zu werfen? Und doch hängt alles daran, dass wir innenpolitische Gegner nicht mit Feinden verwechseln und fähig sind, wahre Feinde zu erkennen.

Unsere Autorin ist Philosophie-Professorin an der Ruhr-Universität Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektionsbiologin Ga­briele Pradel ab.

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