30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen Historischer Exzess, allgegenwärtiger Hass

Meinung | Düsseldorf · Selten war Ausländerhass sichtbarer als bei den Ausschreitungen Ende August 1992 in Rostock. Doch nicht nur damals war das größte Versäumnis, das weniger Offensichtliche nicht ernst zu nehmen.

Gedenken ist wichtig: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Rostock-Lichtenhagen.

Gedenken ist wichtig: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Rostock-Lichtenhagen.

Foto: dpa/Jens Büttner

Backsteine und Molotowcocktails fliegen, Fensterscheiben klirren, Kinder schreien. Heime werden verwüstet, Asylbewerber von Vermummten verprügelt. Ein junger geflüchteter Rumäne stirbt nach einer Party – das war der Sommer 1991, in Mecklenburg-Vorpommern, ein Jahr vor dem Anschlag in Rostock-Lichtenhagen, dessen Bilder man kennt, dessen Datum man nun gedenkt.

Der tagelange Gewaltexzess Ende August 1992 in jenem Häuserblock, der der Hansestadt zu trauriger Berühmtheit verhalf, war der grausame Höhepunkt einer Entwicklung, die lange vorher begann und von Teilen der Gesellschaft immer noch getragen wird. Vorbehalte, Vorurteile, Ressentiments und Rassismus sind Abstufungen eines Problems, dem sich Deutschland stellen muss, schon aus seiner unvergleichlichen historischen Verantwortung heraus. Doch Rechtsextremismus im Keim zu ersticken, scheint heute wie damals nicht hinreichend zu gelingen.

Die ausländerfeindlichen Übergriffe im Jahr 1991 blieben weitgehend unbeachtet, auf dem Höhepunkt der Eskalation in Lichtenhagen waren Polizei, Politik und Gesellschaft vor allem eines: überfordert. Ähnlich wie keine zehn Jahre später, als der NSU zu morden begann, aber zunächst Ausländer verdächtigt wurden. Und selbst der Mord an Hessens Regierungspräsident Walter Lübcke 2019 zeigt, wozu Rechtsextremismus führen kann. Und wie unbemerkt er jahrelang schlummern kann. Etwa beim Täter Stephan E., (48) gegen den das Urteil nun rechtskräftig ist, und der sein Hass, sein rechtsextremes Weltbild, das er als jugendlicher Neonazi offen gelebt hatte, nie verworfen hat.

Gedenktage sind wichtig, erinnern heißt, daraus lernen zu können. Und das ist vor allem: aufklären, hinsehen, weitergeben. In Schulen, Vereinen, in Familien und Freundeskreisen, wo immer Ausländerfeindlichkeit aufkommt. Und das tut sie noch.

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