Vorwürfe gegen Till Lindemann Alle Augen auf die Rammsteinkonzerte in München – das reicht nicht

Meinung · Awareness-Teams, Safe Spaces und keine „Row-Zero“ - für die vier anstehenden Konzerte ab heute in München gibt es allerlei Auflagen und Vorschläge. Warum das gegen einen mutmaßlichen Machtmissbrauch in einem über Jahrzehnte etabliertem System wenig ausrichten wird.

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Foto: Handwerker Promotion

Wenn Deutschlands erfolgreichste Hard-Rock-Band Rammstein an diesem Mittwochabend im Olympiapark in München auftritt, dürfte der Spot erstmals mehr vor als auf die Bühne gerichtet sein. Seit den Vorwürfen diverser Frauen gegenüber Bandsänger Till Lindemann (60), in denen es um mutmaßliche Fan-Sex-Castings, Machtmissbrauch und unrühmliche After-Show-Partys geht, ist sie in den Fokus geraten: die sogenannte „Row Zero“, der Bereich zwischen der Bühne und dem Rest des Publikums. Der Ort, zu dem offenbar vor allem Frauen unter 30 Jahren Zugang gewährt worden ist, ausgewählt nach äußeren Kriterien, explizit rekrutiert, um möglicherweise sexuellen Kontakt mit Sänger Lindemann zu haben. So die Vorwürfe.

Diese „Row Zero“ soll es zumindest bei den vier Konzerten in München nicht mehr geben. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ unter Verweis auf Rathaus-Kreise berichtet, reagiere der Veranstalter damit nicht nur auf die Vorwürfe, sondern auch auf einen Antrag, den drei Stadtratsfraktionen am Montagvormittag eingebracht hatten. Auch die Olympiapark GmbH bestätige, dass es "keine Row Zero" und "keine Backstage-Party" nach den Konzerten oder in der Pause im Stadion geben wird. So weit, so gut.

Für die Sicherheit der Fans fordern die Politiker der Grüne/Rosa Liste, Die Linke und ÖDP/München-Liste außerdem ein umfassendes Konzept: „Awareness-Teams“ und „Safe-Spaces“, also Ansprechpersonen und Anlaufstellen, soll es geben für Menschen, die sich bedrängt fühlen. Das mag bei einem buntgemischten Festival wie dem „Superbloom“ zuletzt gut geklappt haben (ohne vermeldeten Ernstfall). Dass bei einem Rammstein-Konzert in pinken Westen vor Sexismus gewarnt wird, ist allerdings schon deshalb unrealistisch, weil Sache des Veranstalters ist, was konkret auf der Veranstaltung passiert. Verboten werden sollten und könnten die vier Auftritte der Band vor insgesamt 240.000 Fans ebenso wenig. Dafür fehlt die rechtliche Grundlage. Für Till Lindemann gilt, geschmacklose Gedichte und Liedtexte hin oder her, immer noch die Unschuldsvermutung.

Der Olympiapark in München: Hier finden ab Mittwoch vier Rammsteinkonzerte statt.

Der Olympiapark in München: Hier finden ab Mittwoch vier Rammsteinkonzerte statt.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Während eine mögliche Strafverfolgung Sache der Justizbehörden ist, bleibt die Aufgabe der Aufklärung in Verantwortung von Politik und Gesellschaft. Dazu zählt vor allem: Die Anschuldigungen der Betroffenen anzuhören und ernstzunehmen. Sich auch der Grautöne abseits der strafrechtlichen Relevanz anzunehmen. Genauer hinzuschauen, zu hinterfragen: Ist ein Gedicht, das von Betäubung und Vergewaltigung handelt, seine Veröffentlichung wert, weil von der Kunstfreiheit ja gedeckt? Was darf ein lyrisches Ich? Wie sehr werden Superstars immer noch überhöht? Was begünstigt das Machtgefälle zwischen Künstlern und Publikum – und somit auch den Machtmissbrauch?

Dass ein System, wie das von Betroffenen beschriebene Rekrutieren von Sexpartnerinnen für Till Lindemann, mutmaßlich über Jahre oder Jahrzehnte funktioniert, hat verschiedene Ursachen. Genauso die Tatsache, dass erst jetzt viele von immer ähnlichen Erfahrungen berichten, die teils Jahre zurückliegen. Von Situationen, aus denen sie nicht so einfach herausgekommen seien, weil Türsteher vor dem After-Show-Raum gewartet hätten, weil Druck ausgeübt worden sei. Vor den Konzerten in München am Mittwoch, Donnerstag, Samstag und Sonntag kursieren bereits Gerüchte, wo die Frauen statt der „Row Zero“ nun hingelotst würden, und ob das Band-Hotel für die After-Show-Party herhalten wird. Das Problem lässt sich also sicher nicht mit einem Sicherheitskonzept für den Veranstaltungsort lösen.

Anmerkung der Redaktion: Wir halten momentan bei allen Texten, die sich mit den Vorwürfen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann beschäftigen, die Kommentarfunktion geschlossen. Hintergrund ist, dass wir zwar alle unsere redaktionellen Texte vorab einer juristischen Prüfung unterziehen; wir können das aber trotz Einzelprüfung nicht für jeden Leserkommentar vornehmen. Deshalb haben wir uns auch in Verantwortung für unsere Nutzerinnen und Nutzer dazu entschlossen, die Kommentarfunktion bei diesem Thema zunächst geschlossen zu halten.

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