Präsident Lula macht Weltpolitik und irritiert Kanzler Scholz Brasilien will Ukraine den Frieden bringen

Analyse | Berlin/Düsseldorf · Brasiliens neuer Präsident Lula ist ein Hoffnungsträger für den demokratischen Westen. Doch als Friedensbringer im Ukraine-Krieg taugt er wohl nicht.

  Bundeskanzler Olaf Scholz (l, SPD) wird von Luiz Inácio Lula da Silva, Präsident von Brasilien, in dessen Amtssitz in Brasilia empfangen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (l, SPD) wird von Luiz Inácio Lula da Silva, Präsident von Brasilien, in dessen Amtssitz in Brasilia empfangen.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Westliche Politiker erliegen gern dem Trugschluss, dass demokratische Länder des globalen Südens wie Brasilien, Südafrika oder Indien in weltpolitischen Fragen ähnlich ticken wie sie. Da ist schnell von der Gemeinsamkeit der Demokraten oder sogar der freien Welt die Rede. Ganz im Sinne des US-Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, wonach rechtsstaatlich verfasste Länder ähnliche außenpolitische Ansichten vertreten und mögliche Konflikte sich mittelfristig auflösen. Gerade Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich sehr auf den Besuch bei seinem brasilianischen Pendant Luiz Inácio Lula da Silva gefreut, dessen Arbeiterpartei er als sozialdemokratische Schwesterpartei ansieht.

Doch der von den meisten westlichen Staaten als Erneuerer der brasilianischen Demokratie gefeierte Arbeiterführer hat offenbar einen ganz anderen Blick auf die Weltpolitik als Europäer oder die angelsächsische Welt. Das fängt bereits damit an, dass Lula, wie der Präsident gern genannt wird, der Ukraine ein gehöriges Maß an Mitschuld am Krieg mit Russland gibt. Über den Kiewer Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sagte er in einem Interview: „Dieser Typ ist am Ausbruch des Krieges genauso schuld wie Putin.“

Zwar hat Brasilien den völkerrechtswidrigen Krieg in der Uno-Vollversammlung verurteilt. Das geschah aber noch unter dem umstrittenen Vorgänger Jair Bolsonaro. Lula sieht als einen der Gründe des Krieges auch die von der Ukraine angestrebte Nato-Mitgliedschaft an. Kremlherrscher Wladimir Putin, der zu den linken Regierungen in Lateinamerika wie Kuba oder Venezuela enge Beziehungen pflegt, ist auch bei Lula nicht so schlecht gelitten. Von einer Gemeinsamkeit der Demokraten im Vorgehen gegen den russischen Aggressor kann also keine Rede sein.

Der brasilianische Präsident bezeichnet auch Chinas Diktator Xi Jinping als Freund, mit dem er gemeinsam (zusammen mit Indien) eine Friedensinitiative im Ukraine-Krieg starten will. Nun kann es sinnvoll sein, neutrale Personen mit einer solchen Aufgabe zu betrauen. Auch das demokratische Israel hat sich bislang noch nicht auf eine Seite im Ukraine-Konflikt geschlagen, obwohl dort die Sympathien der Menschen eher beim angegriffenen Land liegen. Indien hingegen betont seine guten Drähte nach Moskau und zeigt dem Westen ganz offen die kalte Schulter fast genauso stark wie China, das freilich im zweitbevölkerungsreichsten Land der Erde einen Rivalen sieht.

Klar ist, dass die sogenannten Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), die größeren Schwellenländer, durchaus engere Kontakte pflegen. Seit Putin die Front in der Ukraine wieder stabilisiert hat, wird er auch als wichtiger Partner wieder akzeptiert. Seine militärische Schwächephase hat er überwunden. Der Auftritt Lulas bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz am Montag dürfte in Moskau mit Wohlwollen registriert worden sein. Bei den Verbündeten Deutschlands dürfte sie eher zu Irritationen geführt haben. In der Ampel-Koalition kritisierte insbesondere FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai den Vorstoß Lulas. „Friedensgespräche können nicht ohne die Ukraine geführt werden und schon gar nicht über die Köpfe und Interessen der Ukrainer hinweg“, sagte der FDP-Politiker unserer Redaktion. „Die Initiative von Brasiliens Präsident Lula ist daher höchst fragwürdig, zumal Lulas Positionen zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stark irritieren – wie er zuletzt bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bundeskanzler in Brasilia ein weiteres Mal unter Beweis gestellt hat“, sagte der Liberale. „Auch China hat bis zum heutigen Tag den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg nicht verurteilt. Beide Länder, Brasilien und China, verfügen entsprechend über wenig Glaubwürdigkeit in diesem Konflikt“, sagte Djir-Sarai.

Trotz aller berechtigter Kritik kann es aber nicht falsch sein, China und Brasilien, vielleicht auch Indien und Südafrika als Brücke zu Putin zu benutzen, wenn der Krieg in der Ukraine für beide militärischen Parteien mehr Opfer als mögliche Vorteile bedeutet. Denn an einem gefährlichen Dauerkonflikt können auch Länder wie China, Brasilien oder Indien kein Interesse haben, selbst wenn sie weniger stark betroffen sind als etwa der Westen.

Eine förmliche Friedensinitiative der Brasilianer, die gerne eine global wichtigere Rolle spielen würden, macht dagegen zum jetzigen Zeitpunkt wenig Sinn. Putin will weiterhin die Widerstandskraft der Ukraine und die Hilfsbereitschaft des Westens testen, weil er über die stärkeren Ressourcen – militärisch wie energiepolitisch – verfügt. Da wird er sich auch nicht von China oder Brasilien abhalten lassen, zumal er militärisch wieder stärker wird.

Strategisch gesehen sind Länder wie Brasilien, Indien oder Südafrika, obwohl sie einige Werte mit dem Westen teilen, eher eine Enttäuschung, wenn es darum geht, den Aggressor Russland in Schranken zu weisen. Als ehrliche Makler in diesem Konflikt fallen sie ebenfalls aus, weil sie eindeutig Sympathien für Moskau erkennen lassen. Sie können bestenfalls in einer ungewissen Phase vor einem möglichen Waffenstillstand einen Gesprächsfaden zu Putin aufbauen, obwohl der auch bei westlichen Politikern wie Biden, Macron oder Scholz vorhanden ist. Und die nukleare Gefahr ist deutlich geringer geworden, weil Atommächte wie China und Indien den Russen die Kosten eines entsprechenden Erstschlags sehr deutlich gemacht haben. Dafür ist Brasilien trotz seiner Größe global zu unbedeutend.

Im Augenblick scheint es, dass die enge Partnerschaft zum größten lateinamerikanischen Land trotz der Freude über den hoffentlich demokratischen Neuanfang für den Ukraine-Konflikt herzlich wenig bringt.

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