Niederlande und Israel Ende einer Liebesbeziehung
Analyse · Jahrelang galten die Niederlande als einer der treuesten Verbündeten Israels. Doch in den vergangenen Jahren hat sich das langsam, aber grundlegend verändert. Die Hintergründe.
Es war eine persönliche, aber gleichzeitig bezeichnende Auswahl von Joop den Uyl, dem Ministerpräsidenten der Niederlande von 1973 bis 1977. Auf seinem Schreibtisch standen drei Fotos: eines seiner Frau, eines seiner Tochter und eines der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir.
Bewusst oder unbewusst symbolisierte das Büro den Uyls die enge Beziehung zwischen den Niederlanden und dem jungen Staat Israel. Während der Suezkrise, des Sechstagekriegs und des Jom-Kippur-Kriegs stand Den Haag fest an der Seite Israels und half sogar, britische und französische Waffenembargos zu umgehen. Die niederländische Bevölkerung brachte ihre Unterstützung massiv zum Ausdruck, mit Aufklebern auf Autos, Geldsammlungen und Demonstrationen. Sogar ein Teil der Beamtengehälter der Regierungsbehörden wurde nach Israel überwiesen.
Der niederländische Historiker Peter Malcontent sieht eine Erklärung für die besondere Beziehung darin, dass es für jede wichtige politische Strömung in der niederländischen Nachkriegspolitik in Israel etwas zu gewinnen gab. Für die Sozialdemokraten waren es die Kibbuzim, ein klar sozialistisches Projekt. Die Liberalen sahen in Israel die demokratische Bastion im Nahen Osten. Und für die konfessionellen Parteien war die Existenz Israels die Erfüllung einer biblischen Hoffnung.
Diese Lage hat sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert. Die Niederlande sind nicht mehr einer der engsten Verbündeten Israels – ein guter Freund, sicherlich, aber keiner, auf den man sich blind verlassen kann. Exemplarisch ist die Diskussion über die UN-Resolution, die Ende des vergangenen Monats einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas fordert. Wie Deutschland haben sich auch die Niederlande bei der Abstimmung enthalten. Hierzulande sind die meisten Kritiker - darunter der Koalitonspartner FDP - der Meinung, dass die Regierung dagegen hätte stimmen sollen. In den Niederlanden sind viele ärgerlich auf die Regierung, weil sie nicht für die Resolution gestimmt hat. Auch mehrere Minister äußerten sich kritisch.
Der Wandel in der niederländisch-israelischen Freundschaft fiel etwa mit dem Ende des Kalten Krieges zusammen, sagte Geschichtsprofessor Bart Wallet der niederländischen Zeitung „Het Parool“. „Bis dahin standen wir auf der gleichen Seite der Front. Unter vier Augen konnte man durchaus Kritik äußern, aber letztlich blieben wir Verbündete. Diese automatische Legitimation ist weggefallen.“
Vor allem die linke Seite des politischen Spektrums hält die Situation der Palästinenser für immer problematischer, insbesondere nach dem Scheitern der Friedensgespräche. Außerdem schwenkte die israelische Politik zunehmend nach rechts. Die Sympathie für das sozialistische Projekt Israel verschwand.
Hinzu kommt, dass das Überleben Israels nicht so tief im staatlichen Selbstverständnis der Niederlande verankert ist wie in Deutschland. Nach dem Krieg gab es auch in den Niederlanden ein Schuldgefühl gegenüber den Juden. Der Sozialdemokrat Willem Drees, zwischen 1948 und 1958 Ministerpräsident, war als Geisel im KZ Buchenwald festgehalten worden. Er hatte das jüdische Leid mit eigenen Augen gesehen. Aber das Existenzrecht Israels ist nicht Teil der niederländischen Staatsräson. Kritik ist weniger heikel als hierzulande.
Vor allem an den linken politischen Rändern gibt es sogar lautstarke Kritik an Israel. Die Parteien Denk und BIJ1 boykottierten eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der Hamas-Anschläge im Parlament. Denk, eine Abspaltung der sozialdemokratischen PvdA, erzielt gute Resultate bei Niederländern mit Migrationshintergrund. Ihre Sympathien gelten dem palästinensischen Volk, Israel wird von Parteichef Stephan van Baarle als Apartheidstaat bezeichnet. Die Position von BIJ1 entspricht eher der amerikanischen Black-Lives-Matter-Bewegung. Die Partei bezeichnet Israel als einen neokolonialen Staat.
Ganz am anderen Ende des politischen Spektrums steht die rechtspopulistische PVV von Geert Wilders, der als die stärkste pro-israelische Kraft gilt. Wilders sieht eine wichtige Rolle für Israel in dem, was er als einen Kulturkampf gegen den Islam ansieht. Wie der israelische Präsident Benjamin Netanjahu bezeichnete er den Krieg gegen die Hamas als einen Kampf zwischen „Zivilisation und Barbarei“. Die strengste christliche Partei, die SGP, unterstützt ebenfalls diese Haltung.
Inzwischen empfinden laut Israel-Kenner Wallet auch viele Niederländer mehr Sympathie für die palästinensische Sache. Allerdings ist diese Haltung nicht so stark ist wie die Unterstützung für Israel in den 1960er und 1970er Jahren. Vielmehr halten sich die meisten Menschen von dem Dauerkonflikt fern. Wallet: „Es gibt starke Meinungen an den Rändern, aber bei der Mehrheit herrscht eine Art Gleichgültigkeit.“
Die Frage ist, inwieweit sich das nach dem Angriff der Hamas ändert. Nach Angaben der jüdischen Organisation CIDI ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle in den Niederlanden seit dem Hamas-Angriff um über 800 Prozent gestiegen. Kurz nach dem Hamas-Anschlag blieben drei jüdischen Schulen in Amsterdam geschlossen. Dort gibt es eine große jüdische Gemeinde. Und in vielen Gemeinden wird darüber diskutiert, welche Flagge gehisst werden soll: die israelische, die palästinensische, beide, oder keine. Eine klare Haltung gibt es bis heute nicht. Vor der Amsterdamer Stadtverwaltung wehte das Banner mit dem Davidstern genau einen Tag. Danach wurde die internationale Friedensflagge mit der Taube gehisst.
Laut Eddo Verdoner, dem nationalen Koordinator für Antisemitismus, steigt die Zahl der antisemitischen Vorfälle oft häufiger, wenn die Gewalt in Israel und den palästinensischen Gebieten eskaliert. Aber jetzt ist es „schneller und intensiver“ als je zuvor, sagt er. Nicht umsonst wird der Nahostkonflikt in den Niederlanden manchmal als die „am meisten innenpolitisch diskutierte Auslandsfrage“ bezeichnet – Gleichgültigkeit hin oder her.