Zum Muttertag Wer pflegt Mama? Anstatt Blumen die Pflege besprechen

Analyse · Der Frage, wie es im Alter mit den Eltern weitergeht, widmen sich die meisten Kinder und Geschwister spät, oft zu spät. Dabei ist ein gemeinsamer Plan ein größerer Liebesbeweis als Blumen zum Muttertag.

Blumen, Karten, Fotos sind Klassiker zum Muttertag. Liebe kann auch bedeutet, sich um wichtige Fragen zu kümmern.

Blumen, Karten, Fotos sind Klassiker zum Muttertag. Liebe kann auch bedeutet, sich um wichtige Fragen zu kümmern.

Foto: dpa/Annette Riedl

Oft ist es ein Sturz, ein Oberschenkelhalsbruch, der Klassiker. Die Knochen sind brüchiger im Alter, die Muskeln weniger, die Konzentration lässt nach. Mama muss ins Krankenhaus – das ist für Angehörige oftmals der Startpunkt, sich Gedanken zu machen. In vielen Fällen aber stehen Unfälle im Alltag oder Vorfälle im Haushalt am Ende einer längeren Entwicklung, die nur noch nicht zur Sprache kam: das Älterwerden.

Weil die Menschen immer älter werden, sind sie immer häufiger auf Unterstützung angewiesen. Denn das Risiko der Pflegebedürftigkeit steigt proportional zum Alter: Ab dem 80. Lebensjahr ist derzeit jeder dritte Mensch in Deutschland auf Unterstützung angewiesen, ab 85 Jahren schon jeder zweite. Bei den über 90-Jährigen beträgt die Pflegequote mehr als 80 Prozent. Als pflegebedürftig gelten Personen, die durch körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen in ihrer Selbstständigkeit so eingeschränkt sind, dass sie Hilfe anderer benötigen. Zur offiziellen Ermittlung des Pflegegrades gibt es komplizierte bis undurchsichtige Begutachtungsinstrumente, die im Sozialgesetzbuch festgehalten sind.

Was in der Theorie logisch und klar definiert ist, verläuft in der Praxis oft unsortiert, emotional aufgeladen und unter Zeitdruck. Mama ist im Krankenhaus – und Partner, Kinder, Geschwister untereinander stellen sich den vielen Fragen: Was bedeutet das jetzt? Wie geht es weiter? Wer kümmert sich? All das sind Fragen, die Zeit und Kraft kosten, die manchmal auch ganz andere familiäre Urkonflikte zutage fördern.

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Hanns-Peter Klasen, Chefarzt der Klinik für Geriatrie im St.-Irmgardis-Krankenhaus Süchteln, hat als Facharzt für Innere Medizin und Geriater nicht nur mit Patientinnen und Patienten über 70 Jahren zu tun, sondern auch mit Angehörigen. Viele Personen würden mit einem Bruch eingeliefert, sagt Klasen, „dahinter steckt aber oft eine Reihe ganz anderer medizinischer Probleme“. Der Regelfall sei: „Jemand kommt ins Krankenhaus, und erst dann wird über Betreuung nachgedacht.“ Im Schnitt 17 Tage haben Angehörige Zeit; das ist in seiner Abteilung des St.-Irmgardis-Krankenhaus mit insgesamt 170 Betten die sogenannte mittlere Liegedauer.

Gesprächsangebote bietet ein Team aus Allgemeinmedizinern, Chirurgen, Neurologen, Pflegekräften und Mitarbeitenden im Sozialdienst. Bei den Beratungen gebe es zwei Möglichkeiten, sagt Chefarzt Klasen: zum Beispiel schwere Tumorerkrankungen zum einen. Klasen nennt es die zeitlich absehbare, wenn auch sehr schwierige Zeit für Angehörige. Zum anderen seien es die chronischen oder demenziellen Erkrankungen, „die Ende-offen-Situationen“. Wenn es dann um langfristige Pflegefragen gehe, sei es am wichtigsten, den Angehörigen bewusst zu machen, was das bedeutet, wenn sie diese Aufgabe selbst übernehmen wollen.

Es fängt bei kleineren Einkäufen für Mama an, dem Fensterputzen im Frühjahr, dem Bettenüberziehen. Vermeintlich kleinere Gefallen, die gern getan werden, oft ohne die Gründe anzusprechen – dass Mama es selbst nicht mehr schafft. „Angehörige rutschen in die Pflegerolle hinein, meistens ist das keine bewusste Entscheidung“, sagt Nina Lauterbach-Dannenberg vom Projekt der Regionalbüros Alter, Pflege und Demenz Nordrhein-Westfalen im Kuratorium Deutsche Altershilfe.

Auf die kleinen Hilfen folge eine sukzessive Übernahme der Alltagsaufgaben. Was es bedeutet, Mama (oder Papa) zu waschen, anzuziehen, auf die Toilette zu setzen, machen sich die Wenigsten vorher klar: Zeit, Kraft, psychische Belastung. Trotzdem pflegen bei zwei Drittel aller häuslichen Pflegebedürftigen die Angehörigen: zum Großteil Frauen, Schwiegertöchter eher noch als die eigenen Söhne.

Um ein Dilemma zu vermeiden, das Schweigen frühzeitig zu brechen, braucht es Fingerspitzengefühl. Die Rollenumkehr ist für beide Seiten eine psychologische Herausforderung: Plötzlich umsorgt man als Kind die Mutter, solange Zeit war es doch umgekehrt. Mit den gesundheitlichen Problemen bröckelt das Bild der starken Frau. Und Mütter wollen oft mehr und länger, als sie eigentlich können. Das Altern komme nur vermeintlich plötzlich, sagt Lauterbach-Dannenberg: „Studien zeigen, es gibt keinen Break-even.“ Die Expertin rät dazu, das Thema anzusprechen, sobald merkbar ist, dass beispielsweise häufiger vergessen werde, den Herd auszuschalten. „Es ist ein schmaler Grat zwischen Sicherheit und Autonomie“, betont Lauterbach-Dannenberg. „Menschen mit Pflegebedürftigkeit haben ein Recht auf Selbstbestimmung.“ Das könne auch heißen, dass sie nicht pflegebedürftig genannt werden wollen: „Es geht um Respekt.“

Alle wollen alt werden, aber niemand will alt sein, heißt es. Diesem Widerspruch muss man offensiv begegnen, aber niemand muss das allein tun. Die Frage an Mutter, Vater, Eltern kann lauten: Was wünscht ihr euch, wenn das nicht mehr so geht wie jetzt? Und die Frage muss niemand allein klären. Jeder Versicherte hat das Recht auf eine kostenfreie Beratung, der „Pflegewegeweiser NRW“ kann helfen, die passende örtliche Stelle zu finden. In Familien mit mehreren Geschwistern kann ein Gespräch mit professioneller Beratung Druck rausnehmen.

Es gibt mehr als die Wahl zwischen Pflegeheim und Pflege durch Angehörige. Wichtig ist, sich zu informieren, welche Unterstützung möglich ist. Und welche realistisch. Oft ist die Antwort auf die Frage „Wer pflegt Mama?“: viele.

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