Kardinal Marx entschuldigt sich bei Opfern „Ich bekenne mich schuldig, weil ich Teil des Systems war“

Analyse | München · Trotz neuer Vorwürfe im Münchner Missbrauchsgutachten will Kardinal Reinhard Marx vorerst im Amt des Erzbischofs bleiben. Er selbst sprach von „persönlichem Versagen“.

 Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, äußert sich zum Gutachten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Erzbistum München und Freising.

Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, äußert sich zum Gutachten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Erzbistum München und Freising.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Ein zweites Mal wird Kardinal Reinhard Marx dem Papst seinen Rücktritt nicht anbieten. Vorerst. Eine Woche nach der Vorstellung des Münchner Missbrauchsgutachtens erklärte der 68-Jährige, dass er sich der Verantwortung in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche stellen und weiter seinen Dienst leisten werde – solange dies „hilfreich“ sei, wie er betonte. Sollte man sein Tun in der Missbrauchsaufklärung aber als ein Hindernis verstehen, müsse man darüber neu nachdenken. „Ich klebe nicht an meinem Amt“, betonte er. In der jetzigen Situation erschiene ihm aber ein erneutes Gesuch um Amtsverzicht als ein „Aus-dem-Staub-machen“. „Die innere Bereitschaft und die innere Freiheit, das Amt zu geben, die habe ich weiterhin“, sagte Marx. Verantwortung zu übernehmen, heiße nach seinem Verständnis aber nicht gleich Rücktritt.

Die Gutachter der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) hatten Erzbischof Marx bescheinigt, bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen eher eine „passive Rolle eingenommen“ zu haben. Marx habe sich vielmehr der Verkündigung des Wortes Gottes gewidmet. Die Kanzlei wirft ihm vor, zwei Fälle von sexualisierter Gewalt nicht an die Glaubenskongregation in Rom gemeldet zu haben. Marx selbst erklärte, in einem Fall nicht aktiv auf die Betroffenen zugegangen zu sein. „Ich hätte engagierter handeln können“, bekannte er gestern in München. Diese Vorwürfe mache er sich und wolle dafür auch Verantwortung übernehmen; aber: „Ich war und bin nicht gleichgültig.“ Dass er das Leid der Betroffenen nicht gesehen habe, sei für ihn „unverzeihlich“ und ein Zeichen „persönlichem Versagens“. Und: „Ich bekenne mich schuldig, weil ich Teil des Systems war.“

Bereits im Mai 2021 hatte Marx Papst Franziskus seinen Verzicht auf das Amt des Erzbischofs von München und Freising angeboten. Der Grund damals: Er trage Mitverantwortung „für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten“. Zudem hatte er seinerzeit erklärt, dass die Kirche augenblicklich an einem „toten Punkt“ sei, der aber zum Wendepunkt werden könne. Zuvor war Marx überraschend bereits vom Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zurückgetreten, das er von 2014 bis 2020 innehatte. Nur zwei Wochen nach dem Rücktrittsangebot hatte Papst Franziskus Marx geantwortet und ihn aufgefordert, im Amt zu bleiben: „Mach weiter, so wie du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising“, so Franziskus. Diese Worte haben für Marx auch nach der Veröffentlichung des WSW-Gutachtens Bestand.

Zum emeritierten Papst Benedikt XVI., der im Gutachten auf 82 Seiten seine Rolle und sein Handeln als früherer Erzbischof von München und Freising rechtfertigte, sich aber wenige Tage später in einer Angabe korrigieren musste, wollte Marx trotz mehrerer Nachfragen keine Bewertung abgeben. „Das ist keine Vertuschung“, so Marx. Ein Gutachten sei nach seinen Worten weder ein Gerichts- noch ein Geschichtsurteil. Er hoffe aber, dass Benedikt sich selbst noch einmal ausführlich dazu äußern werde. 

Wie es weitergeht im Erzbistum? Prälat Lorenz Wolf, oberster Kirchenrichter im Erzbistum, lässt wegen der Vorwürfe im Gutachten vorerst seine Ämter und Aufgaben ruhen. Der ehemalige Generalvikar Peter Beer prangerte unterdessen massive kircheninterne Widerstände bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch an. „Wenn du Hierarchien angreifst, Herrschaftswissen transparent machen willst, wird blockiert und zurückgeschossen“, sagte Beer der Wochenzeitung „Die Zeit“.  „Ich habe alles versucht gegen die Täterschützer. Aber ich konnte den Apparat letztlich kaum ändern.“ Beers finstere Bilanz: „Diese Kirche kann sich nicht selbst aufklären. Das ist meine bittere Erfahrung.“

Marx hingegen setzt seine Hoffnung auf den Reformprozess des Synodalen Wegs. Ohne eine tiefgreifende Erneuerung der Kirche wird keine Aufklärung gelingen. Es müsse um eine Kirche gehen, die für die Menschen da ist, nicht für sich selbst. Sein Glaube an die Zukunft der Kirche ist ungebrochen: „Das ist nicht das Ende des Christentums.“

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