Koalitionsausschuss der Ampelregierung „Bloß kein Streit“ – das ist der falsche Weg

Meinung | Berlin/Düsseldorf · Oppositionschef Friedrich Merz teilt gegen Olaf Scholz aus: Führung bedeute nicht, anderen beim Streiten zuzusehen. Doch gerade die verbale Auseinandersetzung gehört zur politischen Kultur – die Vermittlung zur Rolle des Kanzlers. Das hat sich in der Geschichte immer wieder gezeigt.

Friedlich und ruhig wirkt das Bundeskanzleramt zur blauen Stunde. Gestritten wird hier trotzdem.

Friedlich und ruhig wirkt das Bundeskanzleramt zur blauen Stunde. Gestritten wird hier trotzdem.

Foto: dpa/Christophe Gateau

Nach knapp 19 Stunden Sitzungsmarathon war Schluss, zumindest vorerst. Der Koalitionsausschuss der regierenden Ampel-Parteien wird an diesem Dienstag in Berlin fortgesetzt. Zu zäh schien es inhaltlich voranzugehen, zu erschöpft am Ende die rund 20 beteiligten Menschen am Tisch, wie die Fotos von Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) am Montagmorgen beim Verlassen des Kanzleramts zeigten. Verständlich, wer könnte von sich behaupten, nach einer durchgemachten Nacht noch frisch auszusehen? Und auch noch tragende Entscheidungen für die Republik treffen zu können?

Wie zuletzt schon zu Pandemiezeiten bei den nicht enden wollenden Ministerpräsidenten-Runden, lautet auch jetzt die Kritik wieder: Muss das sein? Eine zwar notwendige, aber nicht an einen Notfall gebundene Sitzung am Sonntagabend starten zu lassen – die sich erfahrungsgemäß in die Länge ziehen kann. “Ideenreichtum, #Schlafmangel - #Koalitionsausschuss“, twitterte Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Montagmittag und man muss kein Fachmann sein, um zu ahnen, dass das nicht zusammengeht. Schlafentzug, das belegen Studien und eigene Erfahrungen, wirkt irgendwann wie ein Kater nach Alkoholkonsum: Man ist unkonzentriert, unproduktiv, oft auch ungenießbar.

Gereiztheit und Kontroversen innerhalb der Regierung sind für politische Gegner natürlich eine willkommene Gelegenheit – die Oppositionsführer Friedrich Merz nur zu gerne nutzt: „Der Bundeskanzler müsste mal dafür sorgen, dass seine wichtigsten Minister nicht ständig auf offener Bühne streiten“, grantelt der CDU-Chef im „Bericht aus Berlin“ in der ARD. Führung bestehe nicht darin, anderen dabei zuzusehen, wie sie sich streiten, meint Merz. Man könnte an dieser Stelle wertschätzend erwähnen, dass von diesen vertraulichen Verhandlungen – im Gegensatz zu jenen mit CDU-Beteiligung – wenigstens nichts durchgestochen wird. Ein grundlegendes Missverständnis aber liegt viel mehr darin, dass Streit zwingend etwas Schlechtes ist.

Das Ziel des Treffens, das laut Koalitionsvertrag regelmäßig stattfinden soll, war von vorn herein hoch gesteckt: Eine ganze Reihe von Konfliktthemen zwischen SPD, Grüne und FDP sollen geklärt werden: Ausbau der Autobahnen oder Ausbau der Schienen? Kindergrundsicherung erhöhen oder nicht? Wie und wann werden Öl- und Gasheizungen abgeschafft? Die Fragen sind drängend, und sie gehen alle an. Sie berühren die Kernthemen der Parteien – die eigentlich nicht übereinandergehen. Die Interessen der Grünenwählerschaft in gerade diesen Fragen liegen derart konträr zu denen der FDP-Anhänger, dass es gar keine andere Wahl gibt als: Streit. Alles andere wäre eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler – das kann keine Partei wollen. Auch wenn Oppositionspolitiker wie Dietmar Bartsch (Linke) behaupten: „Diese Ampel hält vor allem der Willen zur Macht zusammen.“ Eine Legislaturperiode ist schließlich schnell um.

Da ist es mehr als nachvollziehbar, dass Bundeskanzler Olaf Scholz nicht eingreift – zumindest soweit bekannt. Bloß weil er sich nicht äußert oder seinen Sprecher ausrichten lässt: „Es dauert eben so lange, wie es dauert“, heißt das noch lange nicht, dass er seine Regierung nicht im Griff hat. Streit ist Teil der politischen Kultur, die Parteien zwingend brauchen, um ihr Profil zu schärfen. Auch und besonders in Regierungen mit mehreren Partnern, wie es sie seit 1961 ausschließlich nur noch gibt. Und welche die Ampel im besonderem Maße ist. Aber selbst Helmut Kohl, der in weitaus geschmeidigeren Koalitionen aus CDU und FDP regierte, lehnte sich bisweilen zurück – frei nach dem Motto „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.“ Zum Beispiel als es um die Abschaffung des Solis ging, und sich Union und Liberale stritten wie die Kesselflicker. Der Kanzler schwieg, was wiederum den SPD-Oppositionspolitiker Günter Verheugen dazu brachte, Kohl als „Kanzler des Stillstands“ zu attackieren, „der in sich ruht wie ein chinesischer Buddha". Kohls Reaktion war unerwartet. „Gefällt mir gut“, beschied er Verheugen. Der war fassungslos. „Gefällt Ihnen gut?“

Ähnlich hielt es Angela Merkel in ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft. Die damalige CDU-Chefin, deren stoische Raute ihr bisweilen auch Häme eingebracht hat, sagte einmal: „Mein Prinzip ist nicht 'Basta', sondern Nachdenken, Beraten und dann Entscheiden.“ Und so führte sie die Großen Koalitionen, wie jetzt auch Scholz, indem sie von Zeit zu Zeit strategisch streiten ließ. Etwa als es 2007 um die Verlängerung des Arbeitslosengeld I ging, die die CDU unter der Bedingung beschließen wollte, dass ALG I von der Beitragsdauer abhängig gemacht wird. Wogegen sich die Sozialdemokraten massiv sträubten. Die SPD setzte sich schließlich durch, der Koalitionspartner CDU konnte dennoch Gesicht wahren. Die beiden Parteien meisterten danach immerhin die größte Finanzkrise der Nachkriegszeit.

Auch Schweigen kann ein Machtwort sein, das so viele auch jetzt wieder von Kanzler Scholz verlangen. Der ohnehin wortkarge Hanseat aber zeigt keine Schwäche, indem er auch nach 20 Stunden keine Entscheidung erzwingt. Es sind auch keine Auflösungserscheinungen der Koalition sichtbar, wie manche nun behaupten. Die Parteien wollen ihren großen Kernzielen gerecht werden – da kommt es auf noch so kleine Zwischenschritte an. Wo sich SPD, Grüne und FDP am Ende treffen, wird sich Dienstag erweisen. Vermutlich spät.

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