Vegan, ohne Zucker oder Alkohol im Januar Diesen Nutzen haben gute Vorsätze auf Zeit
Düsseldorf · Im Januar auf Zucker, Alkohol oder Fleisch verzichten – viele Menschen nehmen sich das gerade vor. Solche Einschränkungen fordern den Willen heraus. Aber was nützt begrenzter Verzicht dem Körper?
Neues Jahr, neue Vorsätze: Für viele Menschen ist jetzt die Zeit, lang gehegte Vorhaben umzusetzen. Etwa mehr Sport zu treiben oder gesünder zu leben. Aktionsmonate wie der Alkoholverzicht im „Dry January“ oder der fleischlose „Veganuary“ sollen dazu motivieren, durch eine kurzfristige Umstellung der Ernährung, schnelle und sichtbare Verbesserungen der Gesundheit zu erreichen.
Dabei ist es ein Unterschied, ob man einfach mal zeitweise alkoholische Getränke weglässt, oder ob man gleich die komplette Ernährung umstellt, um zum Beispiel einen Monat auf Industriezucker zu verzichten. Beides tut der Gesundheit kurzfristig gut, ist aber unter Ernährungswissenschaftlern trotzdem umstritten. Denn eine Umstellung auf Zeit birgt Risiken.
Klar ist: Der Körper braucht Zucker für den Stoffwechsel. Den kann er sich aber aus stärkehaltigen Produkten wie Kartoffeln, Nudeln oder Brot holen. Auch sämtliche Obst- und Gemüsesorten enthalten natürlichen Fruchtzucker. Allerdings ist es nicht damit getan, auf Süßigkeiten und zuckerhaltige Getränke wie Säfte oder Limonaden zu verzichten, denn zahlreiche Lebensmittel im Alltag sind mit Industriezucker verarbeitet. Wer also wirklich auf freien Zucker, also nachträglich zu Lebensmitteln hinzugefügten Zucker verzichten will, sollte auf Fertigprodukte gänzlich verzichten. Natürliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Nüsse und Milchprodukte sind in der zuckerfreien Diät das Mittel der Wahl. Wer vorher bedenkenlos morgens zum angereicherten Früchtemüsli gegriffen hat und sich abends auf dem Sofa noch einen Joghurt mit Geschmacksrichtung gegönnt hat, der ist hier vor einer wirklichen Herausforderung gestellt. Denn sowohl Süßes als auch nicht so Süßes mit verstecktem Zuckeranteil sind tabu.
Das ist jedoch schwer umzusetzen, da der menschliche Körper drauf programmiert ist, in Stresssituationen nach schnellen und süßen Energiequellen zu verlangen. Zucker sorgt dafür, dass das Glückshormon Serotonin ausgeschüttet wird, was allerdings nur kurz anhält. Mehr Zucker muss her, um das Hochgefühl aufrecht zu erhalten.
„Hoher Zuckerkonsum kann sich nachteilig auswirken. Zucker ist ein ‚leerer‘ Energieträger, der uns keine Vitamine und Mineralstoffe liefert“, sagt Antje Gahl, Ernährungswissenschaftlerin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät, dass man täglich maximal zehn Prozent der Gesamtenergie durch freie Zucker zuführen sollte, besser noch seien fünf Prozent. Vorausgesetzt, jemand geht einer Tätigkeit mit geringer körperlicher Anstrengung nach, entspräche dies bei einem durchschnittlichen täglichen Energiebedarf von 2000 Kalorien pro Tag zwischen 25 und 50 Gramm Zucker. Bereits mit einem Glas Orangensaft oder Cola reißen Vebraucher die 25-Gramm-Grenze. Die meisten Menschen dürften deutlich mehr konsumieren.
Erst einmal ist ein stark reduzierter Zuckerkonsum also klar zu befürworten. Die Vorteile überwiegen: Der Blutdruck sinkt, der Schlaf wird besser, man hat weniger Heißhunger, sogar der Atem soll durch weniger Mundbakterien frischer werden. Auch eine Gewichtsabnahme ist möglich. Doch hier besteht ein Risiko: „Eine zu rasche Gewichtsreduktion birgt die Gefahr des Jo-Jo-Effektes. Bei jeder Gewichtsreduktion baut der Körper nicht nur Fett,- sondern auch Muskelmasse ab. Weniger Muskelmasse bedeutet aber auch einen geringeren Energieverbrauch. Wird nach der Gewichtsreduktion die Energiezufuhr nicht dauerhaft angepasst, steigt das Gewicht wieder“, warnt Gahl. Ein sogenannter Hungerstoffwechsel setze ein.
Dennoch könne man getrost auf zusätzlichen Zucker verzichten, man brauche ihn nicht für einen gesunden Stoffwechsel, große Mengen von Ein- und Zweifachzuckern aus Süßwaren sorgten ohnehin nur für eine kurze Sättigungswirkung. Antje Gahl empfiehlt: „Lieber weniger Süßes, das aber bewusst genießen. Es ist wenig sinnvoll, für einen Monat komplett auf Zucker zu verzichten, wenn man danach wieder in alte Gewohnheiten verfällt. Daher besser schrittweise reduzieren.“
Noch drastischer sieht es der Ernährungspsychologe Christoph Klotter von der Hochschule Fulda: „Nach den empirischen Befunden bringen Diäten fast immer gar nichts. Das Versprechen ist eine Illusion. Laut den Neurowissenschaften dauert eine Verhaltensänderung Jahre und ist ein mühseliger Prozess“, erklärt Klotter. Wer es innerhalb von nur wenigen Wochen nicht schaffe, sein Verhalten zu ändern, sei enttäuscht von sich und beantworte dies mit einem Mehr an Essen. „Wir müssen langfristig planen und mit Rückschlägen rechnen“, sagt Klotter. Die Liebe zum Zucker sei historisch und genetisch bedingt: So viel Fettiges und Süßes wie möglich zu essen, sei eine früher überlebenswichtige Strategie gegen das Verhungern gewesen. „Auch heute müssten wir uns die Liebe zum Zucker verzeihen“, sagt Klotter.
Verzicht auf Zucker ist also für die meisten Menschen eine Quälerei. Ist es nicht unangenehm, das liebevoll angerichtete Mascarpone-Dessert bei der Einladung zum Essen beim Nachbarn abzuschlagen? Und wie reagieren die Freunde, wenn man ihren Kuchen mit Zuckerkruste lieber nicht verspeist? Da hilft manchmal nur: „Nicht zum Mehressen oder Mehrtrinken drängen lassen, sondern entschieden Nein sagen“, sagt Antje Gahl.
In kleineren Schritten vom Zucker weg schafft Abhilfe und man überfordert sich nicht: Der „Fizz Free February“ fordert Konsumenten heraus, einen Monat lang auf zuckerhaltige Getränke zu verzichten. Tatsächlich lässt sich das recht einfach einhalten. Auf süße Getränke zu verzichten, überfordert Süßmäuler nicht, die immer noch süße Festnahrung zu sich nehmen dürfen.
Viel wichtiger ist aber: Ein gesundheitsbewusstes Essverhalten, das über die Dauer des Aktionsmonats hinaus fortgesetzt wird. Wer einzelne Nahrungsquellen im Speiseplan mit zugesetztem Zucker aufspürt und einen zuckerarmen oder -freien Ersatz findet, hat so eine alltagsfreundliche Alternative. Weg von gut gemeinten, aber zu kurz gedachten Vorsätzen, hin zu sinnvollen und langfristigen Änderungen im Essensplan – Nicht nur bei einer zuckerfreien Ernährung, auch bei anderen Verzichtsplänen.