Debatte um Cancel Culture Was ist noch erlaubt an Karneval?

Meinung | Düsseldorf · Mexikanerin mit Sombrero ja, Häuptling mit Federn nein? Dürfen Schlager über „Indianer“ noch gespielt werden? Die Debatte um politische Korrektheit im Karneval strengt an. Wichtig ist sie dennoch.

 Bislang eine der beliebtesten Verkleidungen unter Jecken: „Indianerin“. (Archivfoto)

Bislang eine der beliebtesten Verkleidungen unter Jecken: „Indianerin“. (Archivfoto)

Foto: Martin Röse

21 Möglichkeiten gibt es, den Zorn einiger Debattenführer derzeit auf sich zu ziehen: So viele Auswahlmöglichkeiten jedenfalls bietet der Kostümgroßhändler Karnevalswierts unter der Kategorie „Indianer“ – von „Sexy Kiki“ über „Häuptling Kiowa“ bis hin zur rosafarbenen Kindervariante. Die schier riesige Anzahl der Alternativen und die Gelegenheit, nach drei Corona-Sessionen endlich wieder Karneval zu feiern, macht es allerdings nicht unbedingt einfacher. Denn das Bemühen um Sensibilisierung, die Frage nach der politischen Korrektheit und letztlich der Vorwurf der Cancel Culture hat im Jahr 2023 die bunte Welt der Karnevalsgesellschaften erreicht.

Schon vor der Pandemie kamen hier und da Diskussionen auf: Eine Hamburger Kita etwa hatte 2019 alle Eltern per Schreiben darum gebeten, ihre Kinder zu Karneval nicht in Indianer- oder Scheichkostüme zu stecken – und damit bundesweit für Aufsehen gesorgt. Gemeinsam sollte bei der Auswahl des Kostüms darauf geachtet werden, “dass durch selbiges keine Stereotype bedient werden”, so die Begründung, weil man auf eine kultursensible, diskriminierungsfreie und vorurteilsbewusste Erziehung wert lege. Darauf folgte vor allem: Protest und Häme. Wohl auch darin begründet, dass es in Medien vielfach als Verbot kommuniziert und dann auch so aufgefasst worden ist.

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Ein jüngeres Beispiel bot Moderator und Schlagersänger Florian Silbereisen, gegen den wegen des Umdichtens einer Liedzeile nun Strafanzeige eingereicht wurde. Silbereisen hatte in der Mitte Januar im MDR ausgestrahlten Abschiedsshow für Sänger Jürgen Drews den Song "1000 und 1 Nacht (Zoom!)" mit der Zeile gesungen: "Erinnerst du dich, wir haben zusammen gespielt" – statt "Erinnerst du dich, wir haben Indianer gespielt", wie es im Originaltext des Songs heißt. Linkenpolitiker und Songautor Dieter Dehm sah darin eine politische Absicht – und sorgte dafür, dass die Staatsanwaltschaft Fulda inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz eingeleitet hat.

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Die juristische Bewertung einmal außen vorgelassen, geht es im Kern also darum: Sind Häuptlings- und Squaw-Kostümierungen kulturelle Aneignung und sollten besser in der Mottenkiste bleiben? Und sollten entsprechende Liedzeilen umgetextet werden, weil der Begriff diskriminiert und verletzt? Das zumindest würde längst nicht nur den Dieter-Dehm-Hit betreffen. Der vor allem zu Karneval beliebte Klassiker von Olaf Henning („Cowboy und Indianer“) wäre damit ebenso tot wie der 1993 herausgebrachte „Pur“-Titel „Indianer“. Doch kategorische Antworten gibt es darauf ohnehin keine.

Fest steht: Die Debatte um den Begriff „Indianer“ hat grundsätzlich ebenso ihre Berechtigung wie jene um „Blackfacing“ bei den Heiligen Drei Königen oder um Straßen- und Firmennamen – von „Mohrenstraße" bis zum "Sarotti-Mohr“. Die teilweise durchaus zu Veränderungen geführt haben. Denn Gewohnheiten wiegen nicht per se mehr als das Befinden der Betroffenen; das gilt auch für die Angehörigen indigener Stämme, die den Begriff zurecht als problematisch empfinden. „Indianer“, begründet in dem historischen Irrtum von Christoph Columbus, der Indien statt Amerika glaubte, zu entdecken, ist nicht nur geografischer Unsinn. Seine Herkunft aus der Kolonialzeit, der Zeit der Völkerschauen, und der Fakt, dass er in seinem Stereotyp der kulturellen Vielfalt der Stämme nicht gerecht wird – das macht den Begriff angreifbar. Viele bevorzugen daher den englischen Ausdruck „native Americans.“

Ist das Kostüm für Narren und Närrinnen deshalb tabu? Nein. In der Kunst wie auch im Karneval gilt: Alles ist erlaubt. Solange es im Rahmen der rechtsstaatlichen Regeln bleibt. Die Meinungsfreiheit ist hier die Maxime, die das Grundrecht der Gleichheit und Würde jedes einzelnen aber nicht aushebeln darf. Die aber auch das Recht auf dumme Meinungen beinhaltet. Ähnlich verhält es sich mit dem Humor. Ob eine Verkleidung als Kardinal witziger ist als die einer genderneutralen Prinzessin, ist immer eine Frage der Perspektive. Den strengen Maßstab politischer Korrektheit anzulegen, würde den Karneval nicht nur unrecht tun – es würde ihn aushöhlen. Ein Mann, der sich als Frau mit großer Oberweite verkleidet? Sexistisch! Ein Junge, der als Soldat geht? Kriegsverherrlichend! Uns so fort.

Der Karneval lebt davon, Klischees aufzuspießen, Stereotypen zu überzeichnen, zu persiflieren und auch zu provozieren. Dass es dabei trotzdem Grenzen des guten Geschmacks gibt, hat sich diese Woche in Sachsen gezeigt. Ein Wagen des Faschingsumzug in Prossen an der Elbe sorgt für Aufregung, ein Video von dem Umzug ist auf Twitter zu sehen: Die Bilder zeigen den Wagen mit dem Schild „Asylranch“, eine Gruppe als „Indianer“ verkleidete Menschen tanzt. In der Mitte ein Mann in einem Regenbogen-Anzug – an einen Marterpfahl gebunden. „Deutschland dekadent und krank, Winnetou sucht Asyl im Sachsenland“, steht seitlich an dem Karnevalswagen, der wohl selbst eine Kritik an der vermeintlichen Cancel Culture sein soll.

Fakt ist: Der Wagen darf genauso durch die Straßen ziehen, wie Winnetoufilme weiterhin nicht staatlich zensiert sind. Nichts anderes würde Cancel Culture nämlich wörtlich bedeuten. Lustig muss man die Darbietung in der sächsischen Schweiz trotzdem nicht finden, genauso wenig wie Kostüme, die auf indigene Gruppen, bestimmte Nationalitäten oder Geschlechtergruppen abzielen. Die fünfte Jahreszeit ist für viele die Gelegenheit, in andere Rollen zu schlüpfen. Unter Maskeraden können trotzdem Personen mit differenzierten Meinungen und überzeugten Haltungen stecken. Das sollte man ebenso wenig vergessen wie den Grundsatz: Jeder Jeck ist anders.

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