Historiker Sven Reichardt im Interview „Der Faschismus bekommt wieder Chancen in unserer Gesellschaft“

Der Konstanzer Historiker erklärt, was vor 100 Jahren in Italien passierte und was Adolf Hitler und Benito Mussolini verband. Und er hat eine Antwort auf die Frage, ob eigentlich Viktor Orbán, Donald Trump und Wladimir Putin Faschisten sind.

 Mussolinis Grabstätte in Predappio bei Bologna ist bis heute eine Wallfahrtsstätte von Faschisten.

Mussolinis Grabstätte in Predappio bei Bologna ist bis heute eine Wallfahrtsstätte von Faschisten.

Foto: picture-alliance / akg-images / Hedda Eid

Herr Professor Reichardt, was geschah eigentlich am 28. Oktober 1922?

Reichardt Die Inszenierung des sogenannten Marsches auf Rom: Mussolini marschiert mit seinem paramilitärischen Verband auf die Hauptstadt, um einen Putsch zu simulieren, und verhandelt gleichzeitig mit der Regierung darüber, dass er Ministerpräsident werden darf. Es war eine Simultanpartie aus Gewalt auf der Straße und geheimen Verhandlungen.

Die Faschisten haben das gern Revolution genannt. Was Sie schildern, klingt eher nach Theaterstück.

Reichardt Beides stimmt. Der Marsch auf Rom sollte ein symbolischer Appell sein, auch eine Drohung, aber gleichzeitig erlangten die Faschisten durch die große Mobilisierung auch die Vorherrschaft in Regionen, wo sie sie vorher nicht hatten. Andererseits wäre es ein Leichtes für die italienische Armee gewesen, die Faschisten vor Rom zurückzuschlagen. Allein mit Gewalt konnte der Marsch auf Rom also auch nicht gelingen. Man musste sich auch mit den alten Eliten arrangieren.

Welche unmittelbare Ausstrahlung hatte der 28. Oktober?