Streit ums Bürgergeld Warum der Faulpelz Konjunktur hat

Analyse | Düsseldorf · In der Debatte um das Bürgergeld ging es auch um die Frage, welche Sanktionsmöglichkeiten der Staat benötigt, um Menschen in Arbeit zu bringen. Dahinter steht ein bestimmtes Bild von Armut. Warum die Missbrauchsdebatte so stark geworden ist.

 Das Symbol der Agentur für Arbeit in Deutschland.

Das Symbol der Agentur für Arbeit in Deutschland.

Foto: dpa/Bernd Wüstneck

Nun haben sich die Parteien auf einen Kompromiss zum Bürgergeld geeinigt. Mehr Sanktionsmöglichkeiten für den Staat, weniger Schonvermögen für Bezieher staatlicher Leistungen lautet die neue Linie. Die Union sah mehr Bedarf, dem möglichen Missbrauch von Sozialleistungen vorzubeugen. Die „Vertrauensoffensive“, die von der Ampelkoalition angestrebt worden war, ging CDU und CSU zu weit.

Bemerkenswert ist die Debatte, die bis zu diesem Punkt geführt hat. Hat sie doch einmal mehr offenbart, dass nicht nur die Wirtschaft Konjunkturzyklen unterliegt, sondern auch der Blick auf Armut – und arme Menschen. Denn hinter den Debatten über die angemessene Höhe von Sozialleistungen im Vergleich zum Niedriglohn und die Notwendigkeit von Sanktionsmöglichkeiten steht die große Frage, welches Armutsbild in der Öffentlichkeit gerade vorherrscht.

Die Vorstellung, Transferempfänger seien „nur zu faul“ zum Arbeiten und müssten mit Sanktionen oder dem Verlust ihres Ersparten bedroht werden, um sich nicht auf staatlichen Leistungen „auszuruhen“, hat eine lange Tradition. Als in England um 1600 viele Klöster aufgelöst wurden und damit ein etabliertes Hilfssystem wegbrach, begann man dort zwischen den „deserving poor“ und den „able-bodied poor“ zu unterscheiden. Es geht dabei um Arme, die Hilfe verdienen, etwa weil sie alt, krank, kriegsversehrt sind und jene, die eigentlich körperlich in der Lage wären, ihren Unterhalt selbst zu bestreiten, es aber aus diversen Gründen nicht tun. Mit Blick auf diese Gruppe kam die Frage auf, warum sich die Bedürftigen nicht selbst helfen – und ob vielleicht sogar die Unterstützung ihnen den Ansporn nehme. Dieser Diskurs findet sich bis in die Gegenwart auch in Deutschland. Mal schlägt das Pendel eher in Richtung Sozialmissbrauchsdebatte. Dann tauchen Schlagworte auf wie „Selbstbedienung im Sozialstaat“ oder es werden Slogans wie „Fördern und Fordern“ propagiert wie nach 2002, als mit den Hartz-IV-Reformen der Sanktionsdruck auf arbeitslose Menschen erhöht wurde. Dann schlägt das Pendel wieder zurück, die Stigmatisierung von Armut wird beklagt und die Möglichkeiten eines bedingungslosen Grundeinkommens erwogen. Auch die Armutsforscherin Susanne Gerull glaubt, dass die lange Tradition, Menschen in „würdige und unwürdige Arme“ zu unterscheiden, bis heute nachwirkt. Armut werde individualisiert. Dadurch könnten sich die politisch Verantwortlichen ihrer Verpflichtung zum Gegensteuern entziehen. „Aktuell sind das vor allem die Politiker und Politikerinnen der Opposition“, sagt Gerull. Bis heute geht es in diesen Debatten also nicht um das Ende der Armut, sondern um das Verhältnis zwischen Gebenden und Nehmenden, zwischen Steuerzahlern und Transferempfängern, um den Preis für sozialen Frieden.

Dass in der aktuellen Bürgergelddebatte das Missbrauchsargument so stark wurde, habe unter anderem mit dem derzeitigen Fachkräftemangel zu tun, vermutet der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge. Wenn es viele unbesetzte Stellen gebe, greife die Vorstellung, es gebe schließlich genug Arbeit, es müsse also Millionen Erwerbslose geben, die sich nicht anstrengten, um einen Job zu finden und die Wirtschaft wie das Land voranzubringen. Die Faulpelz-Unterstellung geht also einher mit dem Vorwurf mangelnden Gemeinsinns.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich Menschen, die sich in einem Leben mit Sozialleistungen einrichten und wenig dagegen unternehmen. Die Ampelkoalition wollte weg von Drohungen hin zu mehr Förderung, doch gibt es Förderangebot auch jetzt schon. Sie erzielen aber nicht in allen Fällen die gewünschte Wirkung. Es wäre falsch, diese Befunde als reine Neiddebatte abzutun. Natürlich stellt sich die Gerechtigkeitsfrage, wenn Menschen mit niedrigem oder sogar mittlerem Einkommen für drastische Teuerungen etwa bei der Energie weitgehend selbst aufkommen müssen, während Empfänger von Sozialleistungen die Belastungen weitergeben können.

Die aktuelle Debatte um das Bürgergeld hat allerdings noch eine neue Wendung genommen. Sie begann zwar mit dem bekannten Vorwurf, bei einem zu hohen Bürgergeld wolle „niemand mehr arbeiten“, hat dann aber auch das Schonvermögen ins Visier gebracht. Die Union kritisierte die Höhe des Vermögens, das auch im Falle einer Erwerbslosigkeit unangetastet bleiben soll. „Es gab also eher den Vorwurf, dass womöglich an reiche Menschen Geld gezahlt werde, der Steuerzahler also für die Falschen aufkommen müsse“, sagt Butterwegge. Das sei nicht der „Sozialneid nach unten“, der im Faulpelz-Vorwurf stecke, sondern eher „Sozialneid nach oben“, der aber nicht Multimilliardäre, sondern in Existenznot geratene Mittelschichtangehörige treffe. Darum wundert es den Politikwissenschaftler, dass gerade das bürgerliche Lager gegen das Schonvermögen aufbegehrt hat. Die Union habe schließlich zu Beginn der Pandemie noch mitentschieden, dass etwa Solo-Selbstständige, Künstler oder Freiberufler mit Hilfe von Hartz-IV durch die Krise kommen, ohne ihr Angespartes antasten zu müssen. Auch in dem von CDU und CSU beschlossenen Wohngeldgesetz seien die jetzt abgelehnten Vermögensfreibeträge seit Langem enthalten. Ein Handwerksmeister, der jetzt in Schwierigkeiten gerate, oder ein Werbegrafiker, der während der Flaute keine Aufträge bekomme, gehörten eigentlich zur Wählerklientel der Union. Butterwegge vermutet daher, dass es der Opposition eher darum gegangen sei, bei einem Gesetz, das die Zustimmung im Bundesrat benötigt, die Muskeln spielen zu lassen.

Menschen in den Vordergrund der Debatte zu rücken, die sich aus Bequemlichkeit für die Erwerbslosigkeit entscheiden, hat womöglich auch einen psychologischen Effekt, der in Krisenzeiten wichtig wird: Die Faulpelz-Vorstellung bietet Entlastung für alle, die arbeiten, aber Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg haben. Denn wenn Armut eine Sache der freien Entscheidung wäre, wenn es am individuellen Bemühen läge, ob man Bürgergeld beziehen muss oder nicht, dann müssten alle, die sich anstrengen und fleißig sind, Armut ja nicht fürchten. „Wenn man Erwerbslose zu Drückebergern erklärt, die lieber Bier trinken und fernsehen als zu arbeiten, rückt man als leistungsbereiter Mensch auf maximale Distanz“, sagt Butterwegge. Man habe dann mit den Armen nichts zu tun, könne auch künftig nie zu ihnen gehören und müsse deren Schicksal folglich nicht fürchten. Das biete gerade in Zeiten bedrohlicher Inflation und wirtschaftlichen Abschwungs eine willkommene psychologische Entlastung.

Weder eine Schmarotzerdebatte noch gutmeinendes Hinwegsehen über Sozialmissbrauch helfen, wirksam gegen Armut anzugehen. Denn beide Sichtweisen verengen ein Problem mit vielfältigen Ursachen auf eine Schuldfrage, die kaum weiterhilft.

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