J.K. Rowlings transfeindliche Äußerungen Was für einen Harry Potter-Boykott spricht – und was dagegen

Meinung · Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling stand häufiger wegen transfeindlicher Aussagen in der Kritik. Jetzt richtet sich der Ärger der Fans auch gegen das neue Videospiel „Hogwarts Legacy“. Doch ist ein Boykott gerechtfertigt?

Wird zum Feindbild vieler Transpersonen: Die Autorin J.K. Rowling steht heftig in der Kritik. Jetzt wird sogar zum Boykott des neuen Harry-Potter-Spiels aufgerufen.

Wird zum Feindbild vieler Transpersonen: Die Autorin J.K. Rowling steht heftig in der Kritik. Jetzt wird sogar zum Boykott des neuen Harry-Potter-Spiels aufgerufen.

Foto: dpa/Joel C Ryan

J.K. Rowling ist nach mehreren aufsehenerregenden Tweets in der Trans-Community äußerst umstritten. Jetzt wird mit der Veröffentlichung des neuen Harry-Potter-Videospiels „Hogwarts Legacy“ ein neues Kapitel in diesem Drama geschrieben. Das Spiel ist nur wenige Tage auf dem Markt, doch schon seit Wochen tobt in den Sozialen Medien und Livestreamer-Foren eine Debatte darüber, ob man ein Spiel, dessen Handlung aus der Feder einer transphoben Autorin stamme, unterstützen könne.

2019 zeigte sie Solidarität mit einer Frau, die aufgrund der Äußerung, das Frausein habe nichts mit der Identität zu tun, sondern sei allein auf das biologische Geschlecht zurückzuführen, ihren Job verloren hatte. Im Juni 2020 fühlten sich bekannte Schauspieler aus dem Potter-Kosmos genötigt, sich von gleich mehreren fragwürdigen Tweets der Autorin zu distanzieren. In diesen zweifelte sie an der Existenz des sozialen Geschlechts (Gender) und argumentierte für die Bedeutung des biologischen Geschlechts (Sex). Dann zog sie über die Bezeichnung „Menschen, die menstruieren“ her, man könne doch einfach „Frauen“ sagen. Dass auch andere Menschen wie zum Beispiel Transmänner menstruieren können, vergaß sie offenbar. Transmenschen, also Personen, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht identifizieren, fühlten sich durch Rowlings Aussagen diskriminiert. Bis heute hat sich Rowling nicht von ihren Ansichten distanziert und stößt damit auch bei weiten Teilen ihrer Anhängerschaft außerhalb der Trans-Community auf Ablehnung.

Die Entwickler betonen, Rowling sei außer an der Schaffung der literarischen Grundlage nicht an der Entstehung von „Hogwarts Legacy“ beteiligt gewesen. Doch dass Rowling über Tantiemen dennoch an dieser und künftigen Veröffentlichungen Geld verdient, macht sie doch zu einer Beteiligten. Die Entwickler distanzieren sich aber nicht explizit, sagen sogar, man habe bei allen Aspekten des Spiels eng mit Rowlings Team zusammengearbeitet. Das Argument, neue Potter-Veröffentlichungen haben sich vollständig von ihrer Urheberin emanzipiert, ist also falsch.

Und mit Rowlings Beteiligung hört die Kritik noch längst nicht auf. In dem Spiel stellen Kobolde mit Hakennase und Segelohren die Antagonisten dar. Bereits im Buch werden die Wächter über das Geld der Zauberer-Bank als gierig und hinterlistig dargestellt, so wird Harry etwa im letzten Buch vom Kobold Griphook hintergangen. Der Vorwurf: hier sei eine unverkennbare Nähe zu historischen antisemitischen Karikaturen. Rowling selbst äußerte sich dazu nicht, allerdings gibt es keinen anderen Anlass für einen Antisemitismus-Vorwurf gegen die Autorin. Die Welt von Harry Potter ist offenbar nicht frei von problematischen Rollenzuschreibungen. Damit müssen sich ihre Fans auseinandersetzen.

Dennoch sprechen einige Gründe dafür, das Spiel als das zu begreifen, was es ist: eine technisch anspruchsvolle Möglichkeit, am heimischen Bildschirm in die Potter-Welt einzutauchen.

Die Figur Harry Potter hat eine Bedeutung angenommen, die die Person Rowling, trotz ihres Einflusses, bei Weitem überstrahlt. Er ist „larger than life.“ Das fiktive Potter-Universum mit seiner Vielzahl an Weiterentwicklungen lässt sich nicht an der Autorin allein aufhängen. Fans, die sehr tief in der Materie sind, werden also nicht bereit sein, all das aufzugeben.

Rowlings Aussagen mögen außerdem kritikwürdig sein, aber Harry Potter entstand vor mehr als 25 Jahren – lange bevor Rowling erstmals zum Thema Trans-Menschen öffentlich Stellung bezog. Und man sollte auch ihre Verdienste um marginalisierte Gruppen in der Buchreihe nicht vergessen. Zwar ist die Figurenwelt bis auf wenige Ausnahmen wenig divers, was queere Menschen und People of Colour angeht, also Menschen, die Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt sind. Trotzdem gelingt es Rowling, benachteiligten Figuren abseits der Norm wie Harry Potter selbst, der „Muggeltochter“ Hermine, dem einsamen Halbriesen Hagrid oder dem Werwolf Lupin in den Büchern einen gebührenden Platz einzuräumen.

Darüber hinaus sind Rowlings strittige politische Äußerungen nicht in ihren Werken zu finden. Es gibt keine Transfeindlichkeit bei Harry Potter. Fans können also die Welt der Zauberei genießen, ohne über etwas hinwegsehen zu müssen.

Und schließlich wird auch bei vielen anderen umstrittenen Künstlern darüber diskutiert, ob ihr Werk nach dem Bekanntwerden persönlicher Äußerungen noch gewürdigt werden darf. Doch es ist ein Unterschied, ob wie bei dem Schauspieler Kevin Spacey oder dem Rapper Kanye West strafrechtliche Vorwürfe mit sehr großer Tragweite im Raum stehen oder wie bei Rowling ein Streit um die Positionierung gegenüber Trans-Menschen, der in erster Linie über Twitter ausgetragen wird.

Jeder entscheidet selbstverständlich selbst, ob er oder sie Werke aus dem Potter-Kosmos konsumieren will. Transfeindlich wird jemand noch nicht automatisch, wenn er das Spiel gut findet.

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