Nach Vorfall in Willich Wie soll ich reagieren, wenn Jugendliche den Hitlergruß zeigen?

Interview | Düsseldorf · Wenn jemand in der Öffentlichkeit rechte Parolen grölt oder den Hitlergruß zeigt – so wie kürzlich Schüler in Willich – sind die Umstehenden oft überfordert. Der Rechtsextremismusexperte Dominik Schumacher erklärt, wie man richtig reagiert.

Rechtsextreme Symbolik sind auf Demonstrationen, wie auch in der Schule verboten. (Symbolbild)

Rechtsextreme Symbolik sind auf Demonstrationen, wie auch in der Schule verboten. (Symbolbild)

Foto: ZB/Patrick Pleul

In Willich ermittelt jetzt der Staatsschutz gegen Oberstufenschüler, die in einem unbeaufsichtigten Moment den Hitlergruß gezeigt und den Nationalsozialismus verherrlicht haben sollen. Lehrer in Brandenburg beklagen das Verhalten rechtsextremer Jugendlicher in der Schule. Wie können Lehrkräfte mit solchen Taten umgehen? Und wie sollte im Alltag darauf reagieren? Für Dominik Schumacher, Berater bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in der Bezirksregierung Düsseldorf, zählt vor allem eins: laut werden.

Herr Schumacher, was sollte eine Lehrkraft tun, wenn Schülerinnen oder Schüler rechtsextreme Parolen rufen oder den Hitlergruß zeigen?

Schumacher Wenn es solche Vorfälle gibt, ist eigentlich die erste Regel, dass überhaupt reagiert werden sollte. Rechte Vorfälle dürfen nicht weg geschwiegen werden. Außerdem kann es in jeder Klasse Leute geben, die sich aus guten Gründen eingeschüchtert fühlen. Auch die muss man im Blick haben. Langfristig ist es notwendig, herauszufinden, was der Hintergrund war. Falsch verstandener Spaß? War das tatsächlich politisch motiviert? Außerdem muss man unabhängig vom Hintergrund die Konsequenzen klarmachen: Die rechtlichen Konsequenzen – so was ist ja strafwürdig. Pädagogisch finde ich aber noch wichtiger, die politische Bedeutung klarzumachen: Wofür der Hitlergruß steht und warum es eben kein Spaß ist, ihn zu zeigen.

Ist es zuerst die Aufgabe des Lehrpersonals, das aufzuarbeiten?

Schumacher Ja. Im System Schule haben die Lehrkräfte eine besondere Verantwortung und eine größere Gestaltungsmacht. Sie sind auf jeden Fall gefordert, zusammen mit der Schulleitung Konsequenzen zu ziehen. Selbstverständlich müssen sie auch herausarbeiten, wo das Verhalten herkam. Genauso wichtig ist es, die Zivilcourage von Schülern zu stärken, die sich dagegen gewehrt haben.

Stichwort Zivilcourage: Im Fall in Willich sollen zwei Schülerinnen sich an die Schulleitung gewandt haben, der Rest der Schüler im Klassenraum hat nichts unternommen. Ist es typisch, dass nur zwei reagiert haben?

Schumacher Ja, absolut. Darauf sind Schülerinnen und Schüler in den seltensten Fällen vorbereitet. Umso löblicher ist es, wenn sich einige dagegen gewehrt haben. Wir merken, dass diese schweigende Mehrheit eine laute Mehrheit wird, wenn solche Vorfälle nachbesprochen werden. Schülerinnen und Schüler wehren sich dann auch gemeinsam und ohne Lehrkräfte gegen so etwas. Weil sie erkennen, dass sie die Mehrheit sind. Das müssen sie aber erst lernen.

Dominik Schumacher von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf

Dominik Schumacher von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf

Foto: Thomas Lobenwein

Ist das Aufgabe der Schule oder müssen auch die Eltern dazu beitragen?

Schumacher Es ist absolut unterstützenswert, wenn das auch zu Hause passiert. Die Verantwortung liegt aber vor allem bei den Lehrerinnen und Lehrern – trotz fehlender Ressourcen in der Schule und den immer enger getakteten Lehrplänen.

In Willich hat die Schule den Vorfall angezeigt. Ist das die Regel oder gibt es auch Fälle, wo die Schule das intern klärt?

Schumacher: Das muss man im Einzelfall abwiegen. Handelt es sich um eine vorsätzliche, politisch motivierte Tat oder um einen alterstypischen Tabubruch? In der Altersgruppe ist die erste Frage: Ist eine Anzeige pädagogisch sinnvoll oder nicht?

In Brandenburg beklagen Schulen das rechtsextreme Verhalten von Schülern. Das sind jeweils Fälle mit Jugendlichen: Sind das Rechtsextreme oder junge Menschen, die provozieren wollen?

Schumacher Das findet man nur im Gespräch heraus. Rechtsextreme Tendenzen sind durch alle Altersgruppen vertreten und können auch im Jugendalter beginnen. Die sind noch nicht so verfestigt wie etwa bei 45-Jährigen. Aber es kann auch bei Jugendlichen schon extrem rechte Einstellungsmuster geben.

Solche Vorfälle passieren nicht nur an Schulen, sondern auch zum Beispiel in Vereinen oder auf dem Sportplatz. Trainer oder Betreuer sind aber häufig nicht so geschult wie Lehrer. Wie sollten sie auf so einen Vorfall reagieren?

Schumacher Es braucht ein Klima, in dem extrem rechte Akteure sich nicht wohlfühlen. Ein Klima, das klar gegen Menschenfeindlichkeit ist und wo jeder willkommen ist. Gerade ehrenamtliche Trainer sind häufig unsicher: Wann darf ich überhaupt etwas sagen? Explizite Formulierungen in Satzungen und Leitbildern können helfen, sich in solchen Situationen auch klar zu positionieren. Vielen hilft auch der Austausch zum Beispiel unter Trainerinnen und Trainern. Das ist oft wichtiger als ein rechtlicher Vortrag.

Wie sollte ich reagieren, wenn ich jemanden auf der Straße oder in der Bahn sehe, der sich entsprechend äußert oder den Hitlergruß zeigt?

Schumacher Ein Hitlergruß ist eine strafbare Handlung. Da kann man die Polizei rufen und den Vorfall anzeigen. Wenn es darum geht, dass jemand rechtsextreme Parolen äußert und Anwesende vielleicht auch verbal angreift, gilt das Einmaleins der Zivilcourage: Hilfe holen, Umstehende aktivieren, Betroffene schützen und sich selbst nicht in Gefahr bringen. Die allermeisten Leute hält in solchen Situationen die Befürchtung ab: Ich kann dann gar nichts Schlaues sagen. Dabei ist das Wichtigste, überhaupt eine Gegenmeinung zu äußern. Man muss deutlich machen: Ich bin nicht damit einverstanden, was hier gerade gesagt wird. Am Schlimmsten ist, wenn jemand menschenfeindliche Parolen äußert und niemand reagiert.

Was ist Ihr Tipp: Wie traut man sich, in so einer Situation etwas zu sagen?

Schumacher Das ist eine sehr individuelle Frage. Ich gehe so da heran: Es ist ein gutes Gefühl, wenn man den Mut gefunden hat und sich dagegen geäußert hat. Da kann man sich selbst auf die Schulter klopfen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort