Bundeswehr Großer Zapfenstreich für Lambrecht – muss das sein?
Meinung · Annegret Kramp-Karrenbauer bekam ihn, Karl-Theodor zu Guttenberg bekam ihn – und sogar Christian Wulff. Ist der Große Zapfenstreich, das höchste militärische Zeremoniell der Bundeswehr, der richtige Abschied für die zurückgetretene Ministerin Lambrecht?

Der Große Zapfenstreich von Christine Lambrecht
Im Falle Angela Merkels hätte im Nachhinein wohl niemand darauf verzichten wollen. Da sitzt die scheidende Bundeskanzlerin in schwarzem Mantel mit Lederhandschuhen inmitten des Paradeplatz des Bendlerblockes im Verteidigungsministerium. Der Fackelschein in der Dunkelheit, die Berliner Eiseskälte und die pandemiebedingte 2G-Plus-Abstandsregeln machen die Atmosphäre dieses Abends besonders, rücken Angela Merkel in adäquater Art und Weise in den Mittelpunkt, wo sie als Person so ungern ist. Ihre Rede berührt, ihr Appell an die „Fröhlichkeit im Herzen“ am einsamen Pult, umgeben von zwei Bouquets roter Rosen. Als zum Schluss das gleichnamige Lied von Hildegard Knef ertönt, hat wohl nicht nur sie selbst Tränen in den Augen. Für viele Deutsche ist es ein seltener Moment.
Der Große Zapfenstreich ist die höchste Ehrung der Streitkräfte und vor allem Bundespräsidenten, Kanzlern und Verteidigungsministern und -ministerinnen vorbehalten. Für Angela Merkel markierte die als Sondersendung live in der ARD übertragene Zeremonie am 2. Dezember 2021 das Ende einer Ära. Eine Würdigung, die nach 16 Jahren Kanzlerschaft geprägt von Finanzkrise, Flüchtlingskrise und Coronakrise niemand in Zweifel gezogen hätte. Genauso wie jene 2005 für ihren Vorgänger, Bundeskanzler Gerhard Schröder, der nach der Vertrauensfrage und einer klaren Abwahl bei seinem Großen Zapfenstreich zu Frank Sinatras „My way“ letztlich würdig verabschiedet wurde. Was im Nachhinein wohl manch einer kritisch sehen mag.
An diesem Dienstagabend, 20.15 Uhr, wird die gleiche Ehre auch Christine Lambrecht zuteil, die nach gut einem Jahr als Bundesverteidigungsministerin der Ampel-Regierung im Januar zurückgetreten war. Weil sie das nicht ganz freiwillig und unter Druck öffentlicher Kritik tat, werden jetzt auch Stimmen laut, die über die Militärehrung klagen: Muss das sein? Im Grunde lautet die Antwort: Ja, selbstverständlich. Denn wer sich hier ausschließlich auf die Geehrten fokussiert, hat nicht verstanden, wofür der Große Zapfenstreich steht: Eine jahrhundertealte Tradition, aus der die Bundeswehr vor allem selbst ihre Stärke zieht.
Die militärische Ehrerbietung geht auf den Abendruf der Landsknechte im 16. Jahrhundert zurück. Der Truppenführer pflegte damals in den Gasthöfen mit einem Streich auf die Zapfen den Beginn der Nachtruhe einzuläuten; Wirte durften dann nichts mehr an die Soldaten ausschenken, die ihr Quartier von da an nicht mehr verlassen sollten. Ein damals essenzielles Reglement, kein betuliches Ritual, wie man heute meinen mag. Zum Respekt gegenüber militärischen Grundprinzipien – gerade angesichts des Krieges in Europa – gehört, diese Traditionen ernst zu nehmen. Auch, wem sie aus Sicht der Streitkräfte gebührt.
Dazu zählten mitunter in der Bilanz eher unrühmliche Amtsträger wie Ex-Bundespräsident Christian Wulf (2010 bis 2012), der über die Kreditfinanzierung seines Eigenheims in eine Medien-Affäre stürzte. Oder auch Karl-Theodor zu Guttenberg, dem 2011 seine zu großen Teilen plagiierte Doktorarbeit zum Verhängnis wurde, was ihn zum Rücktritt als Verteidigungsminister zwang. Beide wurden mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet, obwohl es in der öffentlichen Wahrnehmung keine Abschiede in Würde waren. Ähnlich mag es manchen ergehen, wenn das Stabsmusikkorps für SPD-Politikerin Lambrecht aufspielt. Ob Helikopterflug mit ihrem Sohn in der Dienstzeit, Pumps in Krisengebieten oder ein eher laienhaftes Silvestervideo – vieles musste die Verteidigungsministerin an Kritik annehmen. Nichtsdestotrotz hat sie sich in den Dienst der obersten Streitkräfte gestellt. Dafür gebührt ihr der Abschied, so wie es die Truppe selbst vorsieht.