Die Deutsche Bahn hat ein Problem Vielfalt beginnt im Kleinen

Meinung | Düsseldorf · Diversität wird in Unternehmen nicht konsequent genug umgesetzt. Das betrifft auch die Deutsche Bahn, wie ein Gericht jetzt geurteilt hat.

 Unternehmen schmücken sich gerne damit, für Diversität einzustehen.

Unternehmen schmücken sich gerne damit, für Diversität einzustehen.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Das Bekenntnis zu Diversität steht bei vielen Unternehmen hoch im Kurs: Da erstrahlt das Firmenlogo in Regenbogenfarben, und auf der Internetseite werden prominent Begriffe wie Vielfalt und Respekt positioniert. Aus marketingtechnischer Sicht ein geschickter Kniff. Wer sich öffentlich für Minderheiten engagiert, zeichnet in bunten Farben das Bild einer modernen Unternehmenskultur. Man geht mit der Zeit, hat keine Angst vor Veränderungen. Eine Imagepflege, die sich aus wirtschaftlicher Sicht für manche Konzerne sicher lohnt. Vor allem, wenn gezielt Flagge gezeigt wird: Während das VW-Zeichen auf der deutschen Instagramseite aktuell in Anlehnung an die Regenbogenfahne der LGBT-Gemeinschaft gestaltet ist, bleibt das Logo auf dem Kanal für Saudi-Arabien einfarbig.

Um spürbare Veränderungen in der Gesellschaft anzustoßen, braucht es mehr als hohle Phrasen und schöne Symbolbilder, die die Kanäle der Sozialen Medien fluten. Die Lebensrealität der Menschen ändert sich nur dann, wenn sie im Alltag nicht nur gesehen und gehört, sondern konsequent mit einbezogen werden. Aufmerksamkeit schafft nicht automatisch Akzeptanz, und erst recht keine neue Normalität.

René_ Rain Hornstein kann davon ein Lied singen. Die Person fühlt sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig. Trotzdem wird Hornstein tagtäglich dazu gezwungen, sich zu entscheiden ­und fällt immer wieder aus dem Raster. Wo es im Restaurant nur Toiletten für Männer und Frauen gibt und jedes formale Schreiben mit „Sehr geehrte Frau…“ oder „Sehr geehrter Herr…“ beginnt, scheint kein Platz für eine non-binäre Person zu sein. Selbst beim Kauf eines Onlinetickets der Deutschen Bahn nicht. Bei der Bestellung müssen sich Kunden für eines der beiden Geschlechter entscheidet, ansonsten kann kein Ticket bestellt werden. Hornstein klagte dagegen und bekam vor dem Oberlandesgericht Frankfurt recht. 1000 Euro Entschädigung für erlittenes Unrecht muss die Bahn an die klagende Person zahlen und die Vertriebstochter bis zum 1. Januar 2023 eine geschlechterneutrale Ansprache von Kunden bei ihrem digitalen Buchungssystem anbieten.

Warum muss ein Konzern, der auf Anfrage selbstbewusst mitteilt „Diversity ist bei der DB Chefsache“ und der stolz mit der eigenen Diversitätsinitiative „Einziganders“ wirbt, erst gerichtlich zu einem solchen Schritt gezwungen werden? Schon im Oktober 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass im Geburtenregister auch „divers“ als Geschlechtseintrag ausgewählt werden kann. Zudem klagte René_ Rain Hornstein bereits 2020. Die Bahn hatte also ausreichend Zeit, Diversität auch in diesem Bereich zur Chefsache zu erklären und Menschen wie Hornstein beim Kauf eines Onlinetickets mit einzubeziehen. Stattdessen hat sich bis heute nichts an dem betreffenden Onlineformular geändert.

Wie viele eigenen Züge kommt der Konzern hier viel zu spät. Nach Aussage einer Pressesprecherin des Unternehmens hat das mit fehlenden sprachlichen Standards zu tun: „Es gibt für die Ansprache nicht binär geschlechtlicher Personen im deutschen Sprachraum noch keine allseits anerkannten Normen“, heißt es. „Die Vorstellungen selbst innerhalb der betroffenen Personengruppe gehen derzeit noch weit auseinander.“

Tatsächlich wird hier ein komplexes Problem angesprochen. Durch die Implementierung des Menüpunktes „Divers“, wie er auch im Geburtsregister zu finden ist, hätte die Bahn trotzdem verhindern können, dass non-binäre Personen vor eine Wahl gestellt werden, die sie nicht treffen können oder wollen. Die Ansprache über ein vorangestelltes „Hallo...“ oder „Guten Tag...“ ist zwar weniger förmlich, bezieht aber dafür diverse Menschen mit ein und wird auch von Hornstein selbst vorgeschlagen. Alternativ könnte das Geschlecht gar nicht mehr abgefragt werden, wie es etwa das Busunternehmen Flixbus handhabt. Sprache schafft nun einmal Realität und in gewisser Weise auch Bewusstsein - wie etwa der Unterstrich nach René_ Rain Hornsteins Vornamen, der die Nonbinärität kennzeichnen soll.

Der Grund für die Zurückhaltung der Bahn bei der Umstellung ihres Systems dürfte aber sowieso weniger formulierungstechnische Unsicherheit gewesen sein, sondern Geld. Muss der ganze Bestellprozess angepasst werden, verschlingt das Ressourcen. Nicht umsonst hat die Bahn vor Gericht darum gebeten, noch bis Ende 2023 Zeit für die Umstellung zu bekommen. Anders als eine knallig inszenierte Diversitätskampagne ist eine marginale Veränderung im Bestellprozess wenig öffentlichkeitswirksam. Zumal die Ansprache des Dritten Geschlechts in anderen Bereichen bereits Standard ist.

Doch genau deswegen hätte die Bahn hier die Chance gehabt zu zeigen, dass ihr Diversität wirklich wichtig ist. Es sind banale Dinge wie das Bestellen einer Fahrkarte, die den Alltag formen. Kleine Stellschrauben, die in Summe dazu beitragen, was die Gesellschaft als normal empfindet oder was merkwürdig und fremd erscheint. Hier etwas zu bewegen, erfordert manchmal mehr Mut oder Engagement als die ganz großen Gesten.

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