Spitzenpolitiker in den Sommerferien Urlauben und urlauben lassen

Meinung · Kanzler in Badehosen, Ministerinnen in Funktionsjacken: Wenn Spitzenpolitiker reisen, schaut das Volk nur allzu gern zu. Nicht immer ist es nur Neugier, die antreibt. Warum sie als Motiv trotzdem absolut berechtigt ist.

 Wandern im Allgäu – nicht nur für Bundeskanzler eine Wohltat.

Wandern im Allgäu – nicht nur für Bundeskanzler eine Wohltat.

Foto: dpa-tmn/Florian Sanktjohanser

Politiker sind auch Menschen. Diese unterschätzte Erkenntnis wird immer dann besonders plastisch, wenn es schon rein anlassbedingt menschelt. Alljährlich zur Weihnachtszeit etwa, bei Vermählungen, bei runden Geburtstagen und Jubiläen, natürlich aber vor allem: in der Urlaubszeit. Die Arbeit ruht für eine Weile, die Seele baumelt, die Pflicht kann rufen, niemand hört hin. Die Sommerferien, mal länger, mal kürzer, sind der kleinste gemeinsame Nenner aller Menschen, eines von wenigen verbindenden Elementen, eben auch zwischen Volk und Volksvertretern. Auch denen sei Urlaub gegönnt, nicht trotz, sondern gerade wegen all der Krisen, die auf ihnen lasten.

Wenn Staatsmänner und -frauen die politische Bühne in Richtung Ferien verlassen, schaut das Land ihnen nur allzu gern dabei zu. Mal neugierig, mal sehnsüchtig, mal missgünstig. Christian Lindners Luxushochzeit auf Sylt? Geht gar nicht! Angela Merkels Urlaub in der Uckermark? Wie bodenständig! Die Urteile sind gefällt, da ist die Politprominenz noch nicht mal am Ziel. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wurde von einigen Reportern regelrecht verfolgt bis auf die einsame Alm im Allgäu, auf der er gerade mit seiner Frau Britta Ernst ausspannt.

Dass ein Zimmer in jener „Wellness-Villa“ minimum 550 Euro die Nacht (plus Kurtaxe) kostet, das ehemalige Bauernhaus eine „politisch korrekte“ Solaranlage auf dem Dach hat und der Kanzler in kurzen Hosen vormittags Zeitungen liest, sind Details, die vor allem die Sensationslust bedienen dürften. Auch die Hochrechnungen, wie viel Sicherheitspersonal wohl für Lindners Hochzeit nach Sylt musste und was das den deutschen Steuerzahler kosten dürfte, sind die Aufregung nicht wert. Spitzenpolitiker haben einen Anspruch auf Personenschutz, aber eben auch ein Anrecht auf Privatleben. Verwerflich ist es trotzdem nicht, wissen zu wollen, wie Volksvertreter urlauben. Zumal nicht jeder ein Geheimnis daraus macht, im Gegenteil.

In Zeiten öffentlicher Postkartenmotivsammlungen à la Facebook und Instagram scheint es einigen Politikern ein Anliegen zu sein, Urlaubsgrüße zu versenden. Und es ist kein neues Phänomen: So ließ sich schon Kanzler Helmut Schmidt Anfang der Achtziger regelmäßig in seinem Sommerdomizil am Brahmsee in Schleswig-Holstein fotografieren, auch mal beim Rasenmähen. Auch sein Nachfolger Helmut Kohl beherrschte die Macht der Bilder: Er ließ sich im Sommerurlaub am österreichischen Wolfgangsee mal mit seinen beiden Söhnen im Schlauchboot, mal mit Babykatzen auf dem Arm oder beim Kraulen eines Hundes ablichten. Und was früher hochkarätige Pressefotos waren, sind heute Selfies und selbstinszenierte Postings: Jens Spahn beim Wandern am Tegernsee, Julia Klöckner beim Lesen am Strand in Frankreich, Markus Söder mit Motorboot auf dem Chiemsee. Mal wollen sie Bescheidenheit signalisieren, mal Menschlichkeit. Die Botschaften sind ähnlich, die Umstände klar: auch in ihrer Freizeit sind sie nie privat.

Etwas anders war und ist da Angela Merkel. Schon während ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft war sie in unaufgeregter Weise darauf bedacht, Privates privat zu halten – bloß ohne dass ihr je jemand Verdrossenheit hätte vorwerfen können. So verwand sie bei ihren Urlauben mit Ehemann Joachim Sauer etwa nicht zwanghaft Energie darauf, Fotos zu verhindern. Sie fand kluge Kompromisse: Ein Foto – ihretwegen auch in Paparazzi Manier – aber dann ist gut. So sind es gerade die ungestellten Aufnahmen ihrer Sommer Südtirol mit Funktionsjacke, Partner-Mützen und Wanderstöcken, mit denen sie Sympathien gewann.

Und dann gibt es Staatsdiener, die ihre Privatsphäre eben strikt privat und ihre Reiseziele am liebsten geheim halten wollen – manchmal aus zweifelhaften Gründen: Als 2010 wenige Wochen nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten bekannt wurde, dass Christian Wulff den Sommer in der Luxusvilla seines Freundes Carsten Maschmeyer auf Mallorca verbracht hatte, war der Wirbel groß. Eilig ließ das Bundespräsidialamt wissen, er habe für den Aufenthalt im Domizil des Unternehmers selbst bezahlt. Dem Image half es im späteren Verlauf trotzdem nicht.

Vielleicht auch deshalb entscheiden sich viele gleich für den Urlaub im eigenen Land: Deutschland ist auf der Liste der Reiseziele bei Politikern weit oben. Oder man hält es wie Ex-Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und verbringt die schönste Zeit im Jahr gleich daheim: „Ich fahre seit 25 Jahren nicht in den Urlaub“, so Seehofer 2020 in einem Interview. Er bleibe stets in seiner Heimat, ganz unabhängig von Corona.

Es gibt also, wie in der Gesamtgesellschaft, auch in der Politik die Zuhausebleiber, die Luxusurlauber, die Aktivurlauber. Menschen, die freie Zeit nutzen, ihre heimische Umgebung neu zu entdecken. Menschen, die einen Orts- und Kulturwechsel brauchen, um den alltäglichen Trott auch mental hinter sich lassen zu können. Menschen, die nichts tun und sich verwöhnen lassen wollen, ohne auf Kosten gucken zu müssen. Luxus definiert ohnehin jeder anders. So verschieden die Bedürfnisse, so unterschiedlich die Arten, Urlaub zu machen für die Politprominenz, die aber auch wissen, in welcher Öffentlichkeit sie dabei stehen. Dieser Öffentlichkeit stünde, passend zum Sommer, eine relaxtere Haltung gut, als sie manchmal scheint: Urlauben und urlauben lassen.

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