Gender-Debatte „Mutter“-Verbot bei der Tagesschau? Wohl kaum

Meinung | Düsseldorf · Die Tagesschau nennt Mütter in einem Online-Artikel „entbindende“ und „gebärende Person“ – und löst damit bei Empörung aus. Warum die Umgehung des Begriffs „Mutter“ nicht wie von den Autoren geplant eine Diskriminierung umgeht, sondern vielmehr Wasser auf die Mühlen einer Boulevard-Zeitung und mancher Politiker ist.

Die „Tagesschau“ bezeichnete Mütter in einem Online-Artikel als „gebärende“ oder „entbindende Person“. Das löste bei einigen Menschen Empörung aus.

Die „Tagesschau“ bezeichnete Mütter in einem Online-Artikel als „gebärende“ oder „entbindende Person“. Das löste bei einigen Menschen Empörung aus.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Das Familienstartzeitgesetz von Ministerin Lisa Paus (Grüne) sieht vor, dass nach einer Geburt nicht nur die Mutter, sondern auch der Partner oder die Partnerin Sonderurlaub erhalten kann. In der Online-Berichterstattung der Tagesschau über dieses Gesetzesvorhaben hieß das so: „Der Partner oder die Partnerin der entbindenden Person soll künftig zwei Wochen nach der Geburt freigestellt werden.“ Auf den Begriff „Mutter“ verzichtete die Meldung. Warum, wollte die „Bild“-Zeitung wissen. Man wolle mit der Wortwahl niemanden diskriminieren, gab die Redaktion an.

Wen diskriminiert man mit dem Wort „Mutter“? Partnerinnen, denen womöglich der Mutterstatus abgesprochen werden könnte, wenn die Frau, die das Kind gebärt, „Mutter“ heißt? Frauen, die ein Kind bekommen, aber keine Mutter sein wollen und ihr Kind zur Adoption frei geben? Vermutlich nicht. Um so mehr irritiert die krampfhafte Vermeidung des Wortes. In den allermeisten Fällen ist deshalb die naheliegende und präzise Nutzung bekannter Begriffe besser. Selbst wenn damit nicht alle Fälle der Mutterschaft restlos abgedeckt werden können. Die abstrakte Umschreibung eines so vertrauten Begriffs wie „Mutter“ wird wohl einen Großteil der Bevölkerung eher verwirren, als für ein mögliches Diskriminierungsproblem sensibilisieren.

Das Thema diskriminierungsfreie oder geschlechtersensible Sprache sorgt nicht selten für hitzige Diskussionen, besonders in den sozialen Medien. Einige User, die die Debatte kommentieren, betonen zum Beispiel, dass sie als Mütter auch so genannt werden wollen. Mutterschaft sei außerdem mehr als das Gebären eines Kindes. Dass auch Frauen, die keine biologische Verbindung zu einem Kind haben, eine Mutter sein können, steht außer Frage.

Die Bezeichnung „entbindende“ oder „gebärende Person“ mag über das Ziel hinausschießen und an der Lebenswelt vieler Bürgerinnen und Bürger vorbeigehen. Ähnlich überzogen ist aber auch die Reaktion der „Bild“-Zeitung und mancher Politiker wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, die im Vor-Wahlkampfmodus bei Twitter auf den Empörungszug aufsprangen. Der Autor des „Bild“-Artikels prangerte nicht nur die fehlende „Mutter“ an, sondern unterstellte, die „Tagesschau“ würde den Begriff Mutter gänzlich streichen wollen. Söder kritisierte bei Twitter einen „Woke-Wahn“. „Promi-Mamas“, darunter auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sprachen sich von „Bild“ befragt – wenig überraschend – für die weitere Nutzung des Begriffes „Mutter“ aus. Dass nie zur Debatte stand, den Begriff zu streichen, wird dabei ausgeblendet.

Inzwischen sind beim betreffenden Online-Artikel der „Tagesschau“ die Begriffe „gebärende“ und „entbindende“ Person übrigens durch „Mutter“ ersetzt, um Missverständnisse zu vermeiden, wie die Redaktion anmerkt. „Bild“ feiert das als ihren Erfolg. Allerdings verebbte der große Shitstorm recht schnell. Es handelte sich wohl eher um einen Sturm im Wasserglas.

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