Richard David Precht beim Digital Ethics Summit 2023 „Keine Angst vor KI-Geistern“

Düsseldorf · Richard David Precht glaubt nicht daran, dass künstliche Intelligenz die Menschheit ersetzen wird. In welchen Bereichen menschliche Intelligenz unverzichtbar bleibt – und warum ihm ChatGPT Angst macht, erzählte Precht beim Ethikgipfel der Rheinischen Post.

Impressionen des Digital Ethics Summit 2023
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Impressionen vom Digital Ethics Summit 2023

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Foto: Bretz, Andreas (abr)

Um den entscheidenden Unterschied zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz deutlich zu machen, braucht Richard David Precht nur eine einzige Anekdote. Das berühmteste ethische Dilemma, das in Versuchen mit Probanden etliche Male durchgeführt worden ist, und das der Autor mit einigen Hundert Gästen des „Digital Ethics Summit“ der Rheinischen Post durchführt, handelt von einer Situation am Bahngleis. Man stelle sich vor, der Waggon eines Zuges löse sich, man stehe am abschüssigen Gleis und könnte durch einen Hebel entweder verhindern, dass fünf Bauarbeiter auf der einen Seite überrollt würden – oder ein einzelner Passant auf der anderen. „Drei Viertel aller Menschen würden sich für die Rettung der Bauarbeiter entscheiden“, erklärt Precht – fünf Leben seien mehr wert als eines, klar, so sähe es auch eine KI. Ändere man einen einzigen Fakt, nämlich dass diese einzelne Person das eigene Kind ist, ändert sich alles. „Plötzlich ist die Entscheidung nicht mehr rational. Und wir merken: Moral ist hochemotional“, resümiert der Philosoph.

Sein Punkt, dass Maschinen nicht programmiert werden können, über Recht und Unrecht zu entscheiden, wird nah- und spürbar. Das Publikum ist für einen Moment andächtig ruhig. Bei dem Kongress auf der „Rhein-Galaxie“ zum Thema „Ethik der Digitalisierung“ geht es nicht nur um technische Fragen, Fortschritt und digitale Innovationen – mit dem Philosophen und Buchautor Precht geht es zunächst vor allem um Moral. Kann künstliche Intelligenz eine Ethik haben, muss sie das überhaupt und wenn ja, wie soll das funktionieren? Precht zeigt sich kritisch der Erwartung gegenüber, dass Menschen durch Technik jemals ersetzbar sein könnten. KI fehle es an Emotionen, an Vorstellungsvermögen, eine KI könne nicht in Gedanken abschweifen, so wie der Mensch es tut – der keineswegs immer in der Gegenwart denkt und lebt. Und so sein eigenes Ich entwickelt, Gefühle wahrnimmt, Entscheidungen trifft, moralfähig ist. Stichwort Kind am Bahngleis.

„Reicht denn nicht die Annäherung der KI an menschliches Moralvermögen“, fragt RP-Chefredakteur Moritz Döbler den Philosophen, dessen Sachbuch „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ 2020 erschienen ist. „Nein, das reicht wahrscheinlich nicht“, entgegnet Precht, das zeige etwa der Einsatz von KI beim autonomen Fahren. „Wenn ein selbstfahrendes Auto für einen tödlichen Unfall sorgt, werden wir es der Technik niemals verzeihen. Menschliche Fehlbarkeit rechnen wir ein, Technik trauen wir nur, wenn sie 100 Prozent fehlerfrei ist. 98 Prozent reichen nicht.“ Nicht nur in der Welt der Mobilität sieht Precht die hundert Prozent noch nicht erreicht. „Technik ist wunderbar darin, Probleme zu lösen und gleichzeitig neue zu verursachen.“ KI werde den Fachkräftemangel nicht beheben, KI sollte nicht über menschliche Schicksale entscheiden. Denn selbst, wenn sich alles berechnen ließe – von der Chance Abitur zu machen bis zu den Risiken für tödliche Krankheiten – wie wollen wir damit umgehen? „Ich möchte die zweite Zahl auf meinem Grabstein nicht wissen“, verrät Precht. Das Recht auf Nichtwissen müsse Platz finden im Umgang mit künstlicher Intelligenz.

Düsseldorf: 2. Digital Ethics Summit der Rheinischen Post
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So war der 2. Digital Ethics Summit der Rheinischen Post

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Foto: Bretz, Andreas (abr)

Weil Moral nicht programmierbar ist, folgt Deutschlands wohl bekanntester Philosoph auch nicht der Angst, dass KI die Menschheit auslöscht. Das sei wie in einem einsamen Haus im Wald: Dort sollte man sich eher vor der realistischen Gefahr von Einbrechern fürchten – nicht vor Spuk. „Keine Angst vor Geistern“, gelte für die KI, dessen Wertvorstellung in menschlicher Verantwortung liegen. Angst vor ChatGPT habe er allerdings schon, gibt Richard David Precht zu. Er habe sie noch nie damit beauftragt, einen Text im Stile Prechts zu produzieren: „Ich habe Angst, dass die KI besser ist als ich“, sagt er und lacht.

Hier finden Sie weitere Texte und Bilder zum Digital Ethics Summit 2023

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