Polen lässt bei Reparationen nicht locker Der vergiftete Streit über die deutsche Schuld

Analyse | Düsseldorf/Warschau · Warschau will das Thema Reparationen bei jeder sich bietenden Gelegenheit ansprechen – vor der Uno, dem Europarat und der Europäischen Union. Warum der Streit Gift für die bilateralen Beziehungen ist. Und was Deutschland anders machen könnte.

 Blick auf das zerstörte Warschau im Jahr 1944. Die polnische Regierung verstärkt den Druck auf die Zahlung deutscher Reparationen.

Blick auf das zerstörte Warschau im Jahr 1944. Die polnische Regierung verstärkt den Druck auf die Zahlung deutscher Reparationen.

Foto: dpa/EPU CAF

Es sind die regelmäßigen Jahrestage – 90 Jahre Machtergreifung Hitlers, 80 Jahre Niederlage bei Stalingrad –, die Deutschland immer wieder an die NS-Herrschaft erinnern. Die Entfesselung eines Weltkriegs, der Mord an sechs Millionen Juden und anderen Minderheiten sowie die brutale Verfolgung von Oppositionellen, aber auch die systematische Ausplünderung der eroberten Gebiete und der damit verbundene Raub von Menschen (Zwangsarbeitern), Maschinen oder wertvollen Konsumgütern unterstreichen die Einmaligkeit der Nazi-Verbrechen. Genauso wiederholen sich immer wieder die Forderungen einstiger Kriegsgegner nach Reparationen wegen dieser Gräueltaten. Zwei Länder stechen dabei besonders heraus: Griechenland und Polen.

Erst vor Kurzem hat eine Warschauer Parlamentskommission die Höhe der aufgezinsten Schäden berechnet, die Wehrmacht, SS und Gestapo in Polen während des Zweiten Weltkriegs angerichtet haben. Sie kam auf die unvorstellbare Summe von 1,3 Billionen Euro, gut ein Drittel des gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukts von 2022. Die griechischen Forderungen belaufen sich auf knapp 300 Milliarden Euro.

Vor allem die polnische Seite lässt nicht locker, immer wieder das Reparationsthema auf die Tagesordnung zu setzen. Er werde das Anliegen bei jeder Gelegenheit vor die Uno, den Europarat oder die Europäische Union bringen, kündigte Vizeaußenminister Arkadiusz Mularczyk noch im Dezember an. Die Nummer zwei der polnischen Diplomatie hat maßgeblich am Gutachten mitgewirkt, das die Höhe der Entschädigungszahlungen bezifferte. Erst am Wochenende legte auch der polnische Botschafter in Berlin, Dariusz Pawlos, nach. „Wir erwarten, dass wir über die Folgen des Zweiten Weltkrieges mit der deutschen Seite ins Gespräch kommen“, sagte der Vertreter des Nachbarlandes dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Die offizielle Ablehnung der konkreten Reparationsforderung durch Deutschland im Januar bezeichnete er als sehr große Enttäuschung.

Die Bundesregierung, egal welcher Couleur, tut sich immer schwer mit den Ansprüchen der einstigen Kriegsgegner. Denn grundsätzlich anerkennt sie die Schuld des NS-Staats. Und sie weiß um die Monstrosität der Verbrechen, die Hitlers Gewaltregime so vielen Staaten angetan hat. Aber sie kennt auch die innenpolitische Brisanz des Themas, wenn sie auch nur den Anschein erweckt, die monetären Forderungen seien juristisch berechtigt.

So ist die offizielle Haltung gegenüber Polen und Griechenland glasklar. Das sozialistische Polen hat danach 1953 auf Reparationen ausdrücklich verzichtet, nachdem im Potsdamer Abkommen von 1945 die Sowjetunion erklärt hatte, sie werde etwaige polnische Ansprüche aus den Einnahmen aus Demontagen in Deutschland bezahlen. Im Falle Griechenlands verweist die Bundesregierung auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die Einheit Deutschlands, der 1990 eine abschließende und umfassende Regelung aller Kriegsfolgen darstelle. Damit seien auch alle Reparationspflichten erledigt.

Beide Positionen sind völkerrechtlich vertretbar. Alle deutschen Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht haben bisher die Haltung der Bundesregierung bestätigt. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat der deutschen Seite stets recht gegeben. Und doch ist die Sache nicht so klar, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Denn Polen war 1953 als Satellit der UdSSR kein wirklich souveränes Land, das selbstständig seine Interessen vertreten konnte. Und im Falle Griechenlands gab es eine Zwangsanleihe, zu der das Land wegen der Besatzungskosten verpflichtet war, und die bis heute nicht zurückgezahlt ist. Rund acht Milliarden Euro soll ihr Wert heute betragen. Selbst ein Gutachten des wissenschaftlichen Diensts des Bundestags kommt zu dem Schluss, dass die Position der deutschen Regierung zwar „völkerrechtlich vertretbar, aber keineswegs zwingend“ sei. Denn im Zwei-plus-Vier-Vertrag ist von Reparationen keine Rede. Zugleich bindet er ein Land, das gar nicht Verhandlungspartner gewesen ist. Zwar hat Griechenland nicht ausdrücklich dem Vertrag widersprochen, aber deswegen von einer stillschweigenden Zustimmung auszugehen, ist zumindest nicht unumstritten.

Nun sind Debatten um Reparationen Gift für die Beziehungen zwischen Ländern. Das hat der Erste Weltkrieg mit seinen riesigen Reparationsleistungen vor allem von deutscher Seite hinlänglich gezeigt. Die Alliierten gaben 1919 Deutschland die alleinige Kriegsschuld und erzwangen Reparationszahlungen, die das Land ruinierten. Dies hat den Aufstieg Hitlers forciert und zur Aufhetzung der Menschen durch die NS-Propaganda beigetragen. Auch wenn die Ansprüche der Griechen und Polen in dieser Form eine weitaus bessere Grundlage haben, könnten sie fast 80 Jahre nach Kriegsende die Gräben wieder aufreißen und die insgesamt recht ordentlichen Beziehungen zu den beiden Ländern nachhaltig beschädigen. Immerhin hat Deutschland individuell sowohl griechischen wie polnischen Opfern Entschädigung geleistet, nicht zuletzt über den Fonds zur Bewältigung der Zwangsarbeit vor rund 20 Jahren.

Deutschland wiederum muss bedenken, dass es die Forderungen nicht einfach so zur Seite schieben kann, sondern zumindest symbolisch und moralisch immer wieder die Schuld eingestehen muss. Hier ist eine rein juristische Haltung, die in Polen und Griechenland als Arroganz ausgelegt wird, äußerst schädlich. Die Bundesregierung sollte deshalb Einrichtungen der Erinnerungskultur in beiden Ländern großzügig unterstützen. Und politisch sollte sie alles unterlassen, was ihr als kaltschnäuzig ausgelegt werden könnte – wie etwa ein völliges Unverständnis über die Höhe der Reparationsforderungen.

Natürlich spielt auch die Politik in dieser Frage eine große Rolle. Die gegenwärtige Regierung der nationalkonservativen PiS nutzt das Feindbild Deutschland, um innenpolitisch bei den kommenden Wahlen zu punkten. In Griechenland instrumentalisierte die linkspopulistische Regierung von Alexis Tsipras das Reparationsthema. Das muss Deutschland ertragen. Denn die moralische Schuld bleibt.

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