Ukraine-Krieg Deutschland wird wieder Buh-Nation

Meinung | Düsseldorf · Deutschland gerät unter Druck wegen seiner als zögerlich wahrgenommenen Haltung zum Krieg in der Ukraine. Was das mit deutscher Geschichte und deutschem Politikstil zu tun hat. Und was die deutsche Regierung dringend tun sollte.

Bundeskanzler Olaf Scholz während einer Kabinettssitzung in Berlin.

Bundeskanzler Olaf Scholz während einer Kabinettssitzung in Berlin.

Foto: dpa/John Macdougall

Die Ukraine fühlt sich im Stich gelassen von Deutschland. Das äußern Vertreter der Regierung in Kiew inzwischen mehr als deutlich bei jeder Gelegenheit. Schon bei seiner denkwürdigen Ansprache per Videoschalte in den deutschen Bundestag hat der ukrainische Präsident offen gefordert, dass Deutschland, dass der Bundeskanzler endlich eine Führungsrolle in Europa übernehmen – und mehr Waffen in die Ukraine liefern solle. Diskutieren wollte das die deutsche Seite lieber nicht. Nach der Schalte zu Wolodymyr Selenskyj ging der Bundestag wie verängstigt zur Tagesordnung über. Wie sehr solche Gesten den Unmut steigern, wurde ebenfalls eklatant unterschätzt. Das zeigt die allgemeine Überraschung in Berlin über die Ansage aus Kiew, der deutsche Bundespräsident sei dort unerwünscht. Doch die Kritik der Ukraine findet längst Widerhall innerhalb der EU etwa bei Polen und den baltischen Staaten. Wieder einmal rutscht Deutschland während einer großen Krise in Europa in die Rolle der Buh-Nation.

Das erinnert in Zügen an die Finanzkrise 2010 als die europäischen Mitgliedsstaaten vom größten Gläubiger in der Krise der Gemeinschaftswährung Führungsstärke erwarteten – und damit vor allem eine Vergemeinschaftung von Schulden meinten. Deutschland widersetzte sich bekanntlich aus Angst davor, dass die EU auf Dauer zur Transferunion werden würde und drängte auf einen harten Sparkurs für die verschuldeten Mitgliedsstaaten. Auch damals geriet Deutschland in die Rolle der Buh-Nation. Man hat die Darstellungen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa bei Protesten in Griechenland noch vor Augen: maximale Verunglimpfung durch Anspielungen auf die Nazi-Vergangenheit.

Es ist die Angst vor der Größe und wirtschaftlichen Macht, die eine tiefe Skepsis in Europa gegenüber Deutschland nährt. Eine Skepsis, die natürlich historisch begründet ist, in der Gegenwart aber gern reaktiviert wird, wenn Europa unter Druck gerät. Denn einerseits gibt es Vorbehalte gegen die große Wirtschaftsmacht im Zentrum Europas. Deutschland wird vorgehalten, die anderen Mitgliedsstaaten zu dominieren und rücksichtslos seine Eigeninteressen durchzudrücken. Dafür liefert Deutschlands Zurückhaltung in der Frage eines Energieembargos gegen Russland gerade eine Steilvorlage, denn natürlich sind es wirtschaftliche Eigeninteressen, die Deutschland zu seiner aktuellen Haltung bringen. Aus deutscher Sicht könnte man auch sagen: zwingen. Andererseits wird Deutschland nicht nur vom ukrainischen Präsidenten mangelnde Führungsstärke vorgeworfen. Und tatsächlich ist es wohl eine Eigenart deutscher Politik, in heiklen Fragen lange abzuwägen. Das beruht auf der Hoffnung, durch ausgiebige Betrachtung aller Für und Wider ließe sich Risiko minimieren. Lieber nichts machen, als einen falschen Schritt. Beherzt einen Weg einzuschlagen, mag entschlossen und dynamisch wirken, manchmal gibt es auf solchen Wegen kein Zurück.

Von außen jedoch wird das sorgsame Abwägen als Zögern und Zaudern, als German Angst und moralische Kompasslosigkeit wahrgenommen. Auch innerhalb Deutschlands, sogar innerhalb der Koalition, mehren sich die Stimmen, die jetzt Entschlossenheit verlangen. Vorgetragen im Ton moralische Entrüstung. Und tatsächlich kann sich Tatenlosigkeit am Ende ja als genau der falsche Schritt erweisen, den man sorgsam vermeiden wollte. Doch gibt es in der Frage, ob etwa die Lieferung von mehr schweren Waffen in die Ukraine den Krieg schneller beenden oder weiter eskalieren würde, viele Variablen. Zu viele, wenn man Entscheidungen nicht nach Instinkt, sondern nach akribischer Risikoabwägung treffen will. Derweil setzt Bundeskanzler Olaf Scholz trotzig auf das Mittel des Schweigens, um Souveränität zu demonstrieren. Während ihm die Debatte entgleitet.

Zögern ist nicht gleich Zaudern. Es kann von Vorteil sein, sich in entscheidenden Fragen Zeit zu lassen, beharrlich auf Rationalität zu setzen, abzuwägen. Wer wollte in der aktuellen Lage mit allem, was in der Ukraine auf dem Spiel steht, eine impulsive Politik? Und natürlich sollte Deutschland keine Alleingänge wagen. Doch gerade diese kühle Herangehensweise verlangt nach Kommunikation, nach Erklärung und Vermittlung. Und zwar nach innen wie nach außen. Deutschland könnte gerade wegen seiner Geschichte selbstbewusst dafür eintreten, Besonnenheit und Führungsstärke zu verbinden. Es könnte klarmachen, dass Zögern auch eine Strategie ist, die bisweilen geboten sein kann. Doch dazu müsste es für seinen Weg öffentlich eintreten. Und darf das Gespür nicht verlieren, wann die Zeit des Zögerns vorbei ist.

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