Christian Lindner will keine weiteren Entlastungen Ein Finanzminister ringt um Glaubwürdigkeit

Meinung | Berlin · Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner stimmt die Bürger kurz vor Weihnachten auf mehr staatliche Sparsamkeit ein: Weitere Entlastungen seien künftig nicht mehr drin, sagt der Minister. Das wirkt nicht nur ein wenig verzweifelt, sondern auch unglaubwürdig.

FDP-Chef Porträt: Das ist Christian Lindner
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Christian Lindner – der Überflieger

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Foto: dpa/Focke Strangmann

Eine SPD-Regierung leitete vor 20 Jahren die größten Sozialreformen der bundesdeutschen Geschichte ein, eine CDU-Regierung setzte den Mindestlohn aufs Gleis – und ein FDP-Finanzminister führte die Schuldenbremse ad absurdum. Der Wähler bekommt offenbar von einer Partei selten das, was auf ihren Wahlplakaten steht, sondern eher das Gegenteil davon. Christian Lindner jedenfalls sah sich in seinem ersten Amtsjahr gezwungen, die Verschuldung des Staates um eine halbe Billion Euro zu steigern. Dabei war er als Gralshüter der Schuldenbremse angetreten.

Kurz vor Weihnachten sieht der FDP-Vorsitzende nun keinen Spielraum mehr für künftige, weitere Entlastungen der Bürger nach den bisherigen Entlastungspaketen in diesem Jahr, weil er unbedingt ab 2023 die Schuldenbremse wieder einhalten will.

Das wirkt nicht nur ein wenig verzweifelt, sondern unglaubwürdig und auch nicht kongruent. Denn Lindner ist der Erfinder mehrerer gigantischer Schuldentöpfe, die die Schuldenbremse als Instrument der haushaltspolitischen Disziplinierung entwerten. In einem dieser Sondervermögen liegen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, in einem weiteren 200 Milliarden Euro zur Entlastung der Bürger und Unternehmen von den hohen Energiepreisen.

Es war zwar grundsätzlich richtig, die Finanzierung dieser Vorhaben in Reaktion auf den Ukraine-Krieg zu ermöglichen. Doch Haushaltstricksereien sind dafür der falsche Weg. Sie können sich rächen, weil sie die Glaubwürdigkeit von Lindners gesamter Finanzpolitik infrage stellen.

Nur die Schuldenfonds haben es ihm und der Ampel-Koalition möglich gemacht, auf dem Papier des Bundeshaushaltsplans für das kommende Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Trotzdem ist dieser Etat „auf Kante genäht“, wie es seinerzeit Hans Eichel, einer der Vorgänger Lindners, formuliert hatte.

Lindner läuft also Gefahr, sogar trotz der gigantischen Schuldenfonds die Schuldenbremse 2023 am Ende doch zu verfehlen. Deshalb stimmt er die Bürger vorsorglich schon jetzt auf mehr staatliche Sparsamkeit im kommenden Jahr ein.

Im Krisenjahr 2022 ist Lindner damit nicht zum Gralshüter der Schuldenbremse, sondern ungewollt zu ihrem Totengräber geworden. Seine Haushaltstricksereien machen deutlich, dass die starre Schuldenbremse nicht praxistauglich ist, wenn sich mehrere Krisen gleichzeitig auftun.

Sie hat die Tricksereien erst mitbefördert, weil sie sich als zu enges Korsett erwiesen hat. Sie gehört jedoch keinesfalls abgeschafft, weil sie zur Disziplinierung ausgabehungriger Politiker unverzichtbar ist. Will man die Schuldenbremse retten, muss man sie reformieren. Da SPD und Grüne daran kaum Interesse haben, wäre das Lindners große Aufgabe in der Ampel-Koalition.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

Foto: dpa/Britta Pedersen

Die Schuldenbremse könnte etwa künftig nicht mehr am Schuldenstand im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, sondern an der Zins-Steuer-Quote, dem Anteil der Zinsausgaben am Steueraufkommen, ausgerichtet werden. Verschlechtert sich die Quote, müsste das Defizit entsprechend stärker gesenkt werden.

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