Bundestagswahl im September Welche Zukunft hat die AfD?

Analyse · Dass die AfD in den nächsten Bundestag gewählt wird, gilt als sicher. Aber wo steht die Partei in Deutschland etwa in zehn Jahren? Forscher haben eine eindeutige Prognose. Auch was die Regierungsbeteiligung betrifft.

 Tino Chrupalla, Alice Weidel und Alexander Gauland Anfang Juni im Bundestag.

Tino Chrupalla, Alice Weidel und Alexander Gauland Anfang Juni im Bundestag.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Acht Jahre sind es her, dass sich die Alternative für Deutschland (AfD) erstmals ins Wahlkampfgetümmel mischte. An Straßenlaternen fielen die prägnanten, blauen Plakate durchaus ins Auge, auch wenn Themen und Tonalität im Sommer 2013 noch verhältnismäßig verhalten daherkamen. „Der Euro ruiniert Europa“, stand da in großen weißen Lettern neben Bernd Lucke, dem Ökonom und damaligen Parteichef. Mit dem Slogan „Einwanderung braucht strikte Regeln“ lächelte Frauke Petry vom Wahlplakat, damals „Sprecherin“ der vor allem eurokritischen Partei.

Die populistischen Newcomer schafften es in ihrem Gründungsjahr damals mit 4,7 Prozent nicht in den deutschen Bundestag. Erst ein Jahr später gelang der AfD mit Landeschefin Petry in Sachsen mit 9,7 Prozent der Einzug in das erste deutsche Landesparlament. Unter ihr sollte sich das Blatt wenden, die AfD tatsächlich zur Alternative für viele Wähler werden. Und zwar wieder ein Jahr später – mit Beginn der Flüchtlingskrise und der Öffnung der Grenzen durch Kanzlerin Angela Merkel.

Die Partei hatte ihr Thema gefunden, ihre Daseinsberechtigung, mit ihrem islam- und flüchtlingsfeindlichen Kurs einen Nerv getroffen – der Rest ist Geschichte. Die AfD sitzt im Europaparlament, in allen 16 Landesparlamenten, mit 88 Abgeordneten im Bundestag und fuhr im Osten immer wieder fulminant zweistellige Ergebnisse ein. In Sachsen-Anhalt blieb sie zuletzt stark, aber nicht ganz so stark wie erwartet, und auch in den Umfragen zur Bundestagswahl stagniert sie bei um die zehn Prozent. Hat die AfD ihren Zenit überschritten? Wird ihr Erfolg abebben wie die sogenannte Welle der Geflüchteten? Gibt es sie in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren überhaupt noch?

Viele Forscher und Beobachter sind sich einig, dass die AfD langfristig im deutschen Parteiensystem Bestand haben wird. Wie stark oder wie schwach, hängt nicht nur von ihr selbst ab. Professionalisiert und institutionalisiert hat sie sich jedenfalls. Keine rechte Partei hatte je so viele Mitglieder bundesweit, so gefestigte Strukturen, ein so anhaltend hohes Mobilisierungspotenzial. Die AfD 2021 ist das, wogegen sie gern wettert: etabliert.

Dass das noch keine Dauerkarte für den Sitz in Parlamenten ist, lässt sich an längst etablierten Parteien wie der FDP oder der Linken beobachten. Aber ist die AfD nicht eher das Pendant zu den Grünen in deren Anfängen – chaotisch, laut, zerstritten, revolutionär? Ist es nicht bloß eine Frage der Zeit, bis auch sie regierungsfähig ist? Der Vergleich hinkt, meint Politikberater Johannes Hillje, „ihre Entwicklung ist völlig unterschiedlich.“ Während die Grünen sich von Beginn an im Parlament entradikalisiert und gegen einen fundamentalen Oppositionskurs entschieden hätten, sehe man bei der AfD genau das Gegenteil – personell wie programmatisch. Aus der einstigen Eurokritik sei die Forderung zum EU-Austritt geworden. Gemäßigte wie Lucke und Petry hätten die AfD verlassen, auch zugunsten rechtsradikaler Kräfte.

„Diese Radikalisierung ist nicht unendlich weiterführbar“, sagt Hillje, „der Verfassungsschutz wurde ja schon auf den Plan gerufen.“ Schon jetzt sei die AfD unattraktiver geworden etwa für Beamte, ein Parteiverbot nicht ausgeschlossen. Das weiß auch die AfD, die in ihrem Schriftsatz „Strategie 2019-2025 – die AfD auf dem Weg zur Volkspartei“ nicht nur ihre Kernzielgruppe, sondern auch ihre eigenen Schwächen analysiert. Die lägen vor allem bei ihrer „angeblichen Ein-Themen-Politik“, ihrem Mangel an Personal und „einigen Imagekomponenten“. Die AfD sei keine rechtsextreme Partei, alles, was den Eindruck erwecke, sei schädlich, heißt es im Strategiepapier. Mit einem „Marsch durch die Institutionen“ (Schützenvereine, Feuerwehrvereine, etc.) müsse man die Bindung an die Zivilgesellschaft festigen. Langfristig reiche es nicht, die „Altparteien zu jagen“, man müsse selbst Regierungsverantwortung übernehmen oder signalisieren.

„Eine Regierungsbeteiligung der AfD ist mittelfristig ausgeschlossen“, sagt Wolfgang Schroeder. Der Politikwissenschaftler beschäftigt sich seit 1993 mit Rechtsextremismus in Deutschland, seit 2016 mit der AfD und ist seit 2004 Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kassel. Wie sich das Parteiengefüge langfristig entwickelt, bleibe abzuwarten, so Schroeder. Das AfD-Theorem „Die da oben und wir da unten“ funktioniere zwar grundsätzlich gut, die Stärke der AfD hänge aber auch von den Schwächen der anderen Parteien ab. Wer wird wie die großen Themen Klima, Wohnraum, Stadt versus Land  besetzen? Sich mit der Kampagne „Deutschland. Aber normal“ als Statthalter der Normalität zu inszenieren, könnte der Etablierung der AfD jedenfalls förderlich sein, meint Schroeder. 

 Entscheidend wird sein, wie groß die Echokammer dauerhaft ist, die die AfD sich schafft. Im Gegensatz zu den Volksparteien nämlich fehlt den Rechten bislang die feste Verankerung im Volk. Was bei der CDU traditionell die Kirche und die Arbeitgeberverbände, bei der SPD die Gewerkschaften, und die Umweltverbände bei den Grünen bedeutet, eine kollektive Identität nämlich, das muss sich die AfD erst noch dauerhaft erarbeiten. Massiv helfen würde ihr der erneute Einzug in den Bundestag nach der Wahl im September. Denn damit stünde ihnen die Bezuschussung parteinaher Stiftungen zu, die es auch schon gibt: die Desiderius-Erasmus-Stiftung. Veranstaltungen, Thinktanks, Stipendien ermöglichten dann eine viel bessere Vernetzung, eine stärkere Verankerung.

Gerade die Förderung junger Menschen und die Position als großer Arbeitgeber könnte die gesellschaftliche Koalition mit der AfD nachhaltig festigen. Wenn sie es zudem inhaltlich schafft, neben Migration andere Themenfelder zu bespielen, stehen die Möglichkeiten für die Partei gut, weitere Legislaturperioden auf Länder- und Bundesebene dabei zu sein. Unter welcher Führung, ist nebensächlich. Im Grunde hing der Erfolg nie an Amtsträgern. Mit ihrer Doppelspitze aus dem gemächlichen Jörg Meuthen und dem weitgehend unbekannten Tino Chrupalla unterscheiden sie sich in dem Punkt von anderen europäischen Rechtspopulisten – es gibt keine charismatischen Figuren.

Wichtiger wird sein, ob und wie konsequent sich die AfD langfristig von rechtsradikalen Strömungen abgrenzt, vor allem in den Ostverbänden. Gelingt das nicht, entstünden aus den zerstrittenen Lagern irgendwann zwei Parteien, würde es wohl für beide kaum über die 5-Prozent-Hürde reichen. Insofern bleibt die größte Gefahr für die AfD: sie selbst.

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