Bodeneinsätze in Gaza Israels schwierigster Krieg

Meinung · Die Armee des jüdischen Staates weitet die Bodeneinsätze in Gaza aus. Das ist Selbstverteidigung, nicht Vergeltung. Und ein Erfolg ist ebenfalls wahrscheinlich. Völkerrechtliche Fragen stellen sich dennoch.

Ein Konvoy der israelischen Armee an der Grenze zum Gaza-Streifen im südlichen Teil des Landes.

Ein Konvoy der israelischen Armee an der Grenze zum Gaza-Streifen im südlichen Teil des Landes.

Foto: AFP/MENAHEM KAHANA

Nun geht es also los. Die israelische Armee stößt seit dem Wochenende verstärkt mit Truppen auf das Gebiet von Gaza vor. Von einer Bodenoffensive wollen Regierung und Militär nicht sprechen. Mit dem ausgeweiteten Einsatz der Bodentruppen hat nach offizieller israelischer Lesart die „zweite Phase“ im Krieg gegen die Hamas begonnen. Ob man die Operation der vorrückenden Truppen nun Bodenoffensive nennt oder nicht, ist für die Bewertung des Gegenschlags allerdings unerheblich. Denn Israel ist moralisch und völkerrechtlich befugt, sich zu wehren. Ja, der Staat hat sogar die Pflicht, das im Interesse des Schutzes seiner Bürger zu tun. Denn der Terror der Hamas hat mehr als 1400 unschuldige Zivilisten in Israel das Leben gekostet. Israel muss nun versuchen, die Hamas auszuschalten oder zumindest so zu schwächen, dass sie zu solchen Angriffen nie mehr in der Lage ist.

Gleichwohl bleibt ein unbehagliches Gefühl. Viele Militärexperten haben darauf hingewiesen, dass ein Bodenkampf sowohl viele Israelis wie auch unzählige Menschen in Gaza das Leben kosten wird. Schon spricht das dortige Gesundheitsministerium von mehr als 8300 Toten. Diese Zahl ist zwar nicht zu überprüfen, aber dass die israelischen Angriffe in Gaza Zivilisten töten, ist nicht zu leugnen. Der Häuserkampf als Folge des Bodeneinsatzes ist brutal und furchtbar. Zum bisherigen schrecklichen Leid wird neues schreckliches Leid hinzugefügt. Der Hamas passt das durchaus in ihr zynisches und menschenverachtendes Kalkül: Je mehr zivile Opfer es gibt, desto stärker dürfte die arabische Bevölkerung ihre jeweiligen Regierungen unter Druck setzen, den palästinensischen Brüdern und Schwestern aktiv zu helfen. Es ist der große Krieg, zu dem die Hamas schon jetzt aufruft. Auf ihn hoffen die Terroristen, um die jetzige Ordnung so radikal wie möglich zu zerstören.

Ihr perfider Plan geht bislang auf und stürzt die Israelis in ein schwieriges Dilemma. Denn die Hamas führt den Krieg von unterirdischen Befehlsständen aus, die oft unter Schulen und Krankenhäusern liegen. Zugleich hindert sie die Menschen daran, aus Gaza-Stadt und dem nördlichen Teil des Landes zu fliehen. Sie setzen sogar Zivilisten als Schutzschilde ein. Es ist praktisch unmöglich, die militärische Infrastruktur der Hamas zu treffen, ohne palästinensische Zivilisten zu töten.

Das wirft schwerwiegende völkerrechtliche Fragen auf. Darf man einen Verteidigungskrieg führen, wenn dabei so viele Zivilisten ums Leben kommen? „Israel geht sicherlich an Grenzen“, meint der Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschkat, der Mitglied des UN-Menschenrechtsausschusses war. „Bei so einer Offensive müssen die elementaren Regeln des Kriegsvölkerrechts eingehalten werden“, ergänzt er.

Der Hamburger Professor für Völkerrecht, Axel Jörn Kämmerer, der an der Bucerius Law School lehrt, macht geltend, dass auch menschliche Schutzschilde nach den Statuten der Genfer Konvention verboten seien. Bei einer systematischen Vermengung ziviler und militärischer Ziele wie bei der Hamas könne sich der Angegriffene, so Kämmerer, gar nicht mehr wehren. Sein Fazit: „Eine überzeugende Lösung hält das Völkerrecht für einen Konflikt wie Israel-Gaza nicht bereit.“ Am Ende dürfte eine schwierige Abwägung stehen. „Die angreifende Macht muss den zu erwartenden militärischen Erfolg gegen die zu erwartenden zivilen Verluste abwägen und, wenn sie außer Verhältnis stehen, den Angriff unterlassen“, findet Juraprofessor Andreas Müller, der an der Universität Basel unterrichtet.

Israel muss auf jeden Fall damit rechnen, dass die Auseinandersetzung eskaliert, die Unterstützung in der westlichen Welt schwindet und die arabischen Verbündeten den Mut zur Kooperation mit dem jüdischen Staat verlieren. Auch die Geiseln spielen eine zentrale Rolle. Anders als in autoritären Staaten zählt in Israel jeder Mensch. Es ist geradezu Staatsräson, dass die Streitkräfte für das Leben Einzelner viel riskieren. Denn auf diese Solidarität gründet sich das Selbstverständnis des jüdischen Staates.

Und noch etwas kommt hinzu: Der Angriff der Hamas hat die Armee Israels geschwächt und gedemütigt. Wichtige Einheiten, die das Gelände genau kennen, sind vernichtet worden. Elitesoldaten wurden getötet. Die sind in einem kleinen Land wie Israel nicht so leicht zu ersetzen. Allerdings geben Erfolge wie jüngst in der Terroristenhochburg Jenin Anlass zur Hoffnung. Da konnte eine Gruppe israelischer Spezialkräfte nach sorgfältiger Planung mit einem raschen Zugriff dank hervorragender logistischer Unterstützung und einem perfekten Drohneneinsatz eine gefährliche Zelle ausheben. Es ist also nicht die Feuerwalze gefragt, die über Gaza niedergehen soll, sondern ein gezielter Feldzug, der zur Zerschlagung oder Schwächung der Hamas notwendig ist.

Über eines müssen sich die Israelis ebenfalls im Klaren sein: Welches Ziel verfolgen sie in Gaza nach einem möglichen Erfolg? Eine Besetzung kommt wohl nicht infrage. Vor 2005 kostete die unmittelbare Kontrolle des Gaza-Streifen zu viele Menschen, Ressourcen und Glaubwürdigkeit. Doch an wen sollen die Israelis die Macht in Gaza übergeben, wenn die Hamas besiegt ist? Denn eines ist klar: An dem Tag, an dem sich die israelische Armee wieder zurückzieht, werden neue radikale Terroristen sofort die Macht im Gaza-Streifen übernehmen.

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