Krisenmanagement in der Politik Wenn das Pflichtbewusstsein Urlaub macht

Meinung · Der Fall Anne Spiegel und das Mallorca-Gate um Ex-NRW-Ministerin Heinen-Esser zeigen, wie sich das Grundverständnis der Gesellschaft geändert hat: Die Grenzen von Rechten und Pflichten verschwimmen – das muss nicht falsch sein.

 Ex-Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) war während der Flut als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz zuständig.

Ex-Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) war während der Flut als Umweltministerin in Rheinland-Pfalz zuständig.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Vielleicht sind die Sommerferien schuld. Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, vielleicht wären Anne Spiegel und Ursula Heinen-Esser noch in ihren Ämtern – hätte die Flut Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nur ein paar Wochen später ereilt. Aber Jahrhundertkatastrophen verlaufen selten geplant. Und wie sie in ihrer Unkontrollierbarkeit Terminpläne, Konstanten und Strukturen konterkarieren, so stellen sie auch die Menschen dahinter auf den Prüfstand. Rettungskräfte, Angehörige, Organisatoren und Entscheider aller Art stehen dann vor einer zentralen Aufgabe: Krisenmanagement.

Die äußere Krise wird immer auch zur inneren: Instinkte, Gefühle, Erfahrungen, Einstellungen und Wissen ringen miteinander. Was ist zu tun und in welcher Reihenfolge? Entscheidungen in Notsituationen können nicht immer ganz rational getroffen werden – sind es doch Menschen, die handeln, nicht Maschinen. Kühle Berechnung oder Emotionslosigkeit sind es auch nicht, die handelnden Personen im Umgang mit der Flutkatastrophe vorgehalten werden. Dass sowohl NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) als auch ihre damalige Amtskollegin in Rheinland-Pfalz, Anne Spiegel (Grüne), nicht nur dienstlich, sondern auch persönlich Anteil nahmen an der Tragödie, darf man ihnen glauben. Angezweifelt wird vielmehr ihr innerer Kompass, der beide erstens dazu verleitet hat, mit der Familie zu verreisen und zweitens, eben damit nicht transparent umzugehen. Dahinter steht auch ein gesellschaftliches Phänomen, Rechte und Pflichten als variabel zu betrachten. Es gibt aber kein Recht auf Urlaub, dafür aber die Pflicht, seine Arbeit zu erfüllen – umso mehr, wenn man einen Eid darauf geschworen hat.

Das Pflichtbewusstsein zu vernachlässigen gründet mitunter auf einem falsch verstandenen Freiheitsbegriff: die Freiheit, Dinge sein zu lassen, die man sonst glaubt, tun zu müssen. Das mag im Privaten gelten. Manchmal aber muss das Private im Sinne des Verantwortungsbewusstseins zurückgestellt werden. In wichtigen politischen Ämtern der Demokratie kommt noch etwas hinzu: die Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, um auch vor dem eigenen Gewissen zu bestehen.

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