Trinkgewohnheiten an Karneval Warum der Alkoholkonsum doch sehr hoch bleibt

Analyse | Düsseldorf · Zwar gibt es einen Trend unter jungen Menschen, weniger Alkohol zu trinken. Doch das ist kein nachhaltiger Beitrag zur allgemeinen Gesundheit. Das Niveau ist immer noch sehr hoch. Und an Karneval könnte ein herber Rückschlag erfolgen.

Binge Drinking an Karneval ist nach wie vor sehr verbreitet, daran ändern auch gesündere Lebensgewohnheiten im Wesentlichen nichts.

Binge Drinking an Karneval ist nach wie vor sehr verbreitet, daran ändern auch gesündere Lebensgewohnheiten im Wesentlichen nichts.

Foto: dpa/Jens Büttner

Immer weniger Menschen in Deutschland trinken regelmäßig Alkohol, auch die Menge nimmt ab – das ist der Tenor vieler Gesundheits- und Lifestyle-Studien. Während 2000 jede Person über 15 Jahren jährlich rund 12 Liter Reinalkohol konsumierte, waren es 2019 nur noch 10,2 Liter. Das hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) errechnet. Und auch die Häufigkeit, wann die Menschen hierzulande zur Flasche greifen, nahm ab.

Während 1995 noch 83 Prozent der 18- bis 59-jährigen Männer (67 Prozent bei den Frauen) mindestens einmal im Monat Alkohol tranken, waren es 2021 noch rund 71 Prozent (58 Prozent der Frauen). Das sagt der aktuelle Alkoholatlas des deutschen Krebsforschungszentrums. Das bedeutet einen Rückgang von zwölf respektive neun Prozentpunkten – immerhin. Eine vergleichbare Entwicklung ist beim Rauschtrinken (auch Binge drinking genannt) von unter 25-Jährigen, also dem fortgesetzten Konsum von fünf Gläsern Alkohol oder mehr hintereinander, festzustellen. Doch trotz der aus Gesundheitssicht günstigeren Zahlen: Das ist noch keine abgeschlossene Trendwende.

Immer noch ist Alkohol die Gesellschaftsdroge Nummer eins. Gerade auch an den Karnevalstagen. Statt neuer Enthaltsamkeit wird in den Hochburgen getrunken, was das Zeug hält. Rund um den Sessionsbeginn am vergangenen 11. November zählte die Polizei in der Kölner Innenstadt rund 400 Strafanzeigen, darunter viele Körperverletzungen – häufig im Zusammenhang mit Alkoholkonsum. Im Fünfjahresvergleich sei diese Zahl die höchste und übersteige den bisherigen Rekord aus dem Jahr 2018, wie die Polizei mitteilte.

Der Berliner Suchtforscher Darius Tabatabai warnt daher davor, schnelle Rückschlüsse zu ziehen, dass der Alkoholkonsum insgesamt zurückgehe. Es gebe nämlich auch soziale Hemmnisse: „Wir haben eine konsumbejahende Gesellschaft. Erst wenn man in die Abhängigkeit gerät, erfährt man Ablehnung und wird stigmatisiert“, sagt Tabatabai. Das Ritual, sich bei besonderen Anlässen zu berauschen, sei bei uns weit verbreitet. Solange man dann wieder zur Tagesordnung zurückkehrte, würde man nicht unangenehm auffallen.

„Das Thema ist bei uns doppelbödig: Wir bejahen einerseits den Konsum und andererseits hält unserer Gesundheitssystem viele Therapiemöglichkeiten bereit“, sagt Tabatabai. Zudem sei Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eher rückständig, was die Eindämmung des Alkoholkonsums betrifft. Das sagt auch die Weltgesundheitsorganisation, die vor allem bei der Prävention dringenden Handlungsbedarf sieht. Alkohol ist viel zu billig und großflächig verfügbar. Verkaufsmöglichkeiten „an jeder Straßenecke“ sind in Städten die Normalität.

Laut Soziologen und Suchtexperten gibt es keine Studienlage dafür, dass an Karneval weniger getrunken wird. Stemmen sich solche Feste gegen den allgemeinen Trend? „Ja, das wäre meine Hypothese“, sagt Reiner Hanewinkel, Leiter des Institut für Therapie- und Suchtforschung. Vor allem nach den Corona-Jahren. „Ich erwarte, dass die Sau rausgelassen wird. Da ist ein Nachholbedarf“, sagt der Psychologe. „Zwar ist Verzicht im Dry January gerade unter jungen Leuten als Selbsterfahrung verbreitet. Aber wie lange hält sich das?“, so Hanewinkel weiter. Zwar glaube er schon, auch angesichts der klaren statistischen Belegbarkeit, dass insgesamt weniger getrunken werde. Das sei auch im Alltag vieler spürbar.

Aber speziell beim problematischen „Binge drinking“ an Wochenenden und Festen habe sich nicht viel getan, dies sei weiter auf einem hohen Niveau. Auf derselben Linie argumentiert Daniel Deimel, Professor für Klinische Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule Aachen. „Alkohol und andere Substanzen funktionieren sehr gut, um diese Emotionen zu regulieren, es ist ein Kontrastprogramm zur Realität“, sagt Deimel und spielt auf die für viele derzeit sehr belastenden multiplen Krisen an.

Auch er erwartet einen robusten Alkoholkonsum an Festen wie Karneval. Eine Wende vom Alkohol weg hin zu einem gesünderen Lebensstill sei in unserer Gesellschaft, einem Hochkonsumland, einfach noch nicht da, sind sich beide Alkoholforscher einig. Das gelte auch für die jüngsten Trinker. Und kurzfristige Rückgangs-Effekte in Corona-Lockdowns hätten keine langfristige Auswirkung, so die Prognose.

Nach mehreren coronabedingt eingeschränkten Karnevals-Sessionen fürchten in diesem Jahr nicht wenige Experten, dass es als Folge übermäßigen Alkoholkonsums und nachholbedingter Exzesse zu vielen Einlieferungen in die Kliniken kommen wird. Wie die Krankenversicherung Barmer in einer Analyse festgestellt hat, ging die Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen übermäßigen Alkoholkonsums in den fünf Tagen von Weiberfastnacht bis Rosenmontag im Jahr 2021 um 75 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, nämlich von 2332 (darunter 870 Betroffene zwischen 16 und 19 Jahren) auf 576 Betroffene bundesweit. Damals vermasselte aber die Corona-Pandemie das Karnevalsvergnügen. Die niedrigen Zahlen dürften kaum zu halten sein. Das ist unter Alkoholforschern einhellige Meinung.

Der geringere Alkoholkonsum insgesamt zeigt aber nur eine Seite des Drogenmissbrauchs. Gesichert ist, dass andere Rauschsubstanzen wieder auf dem Vormarsch sind, sei es Cannabis oder Tabak. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) haben mehr als die Hälfte der 18- bis 25-Jährigen 2021 schon mal gekifft. 2012 waren es nur rund 35 Prozent. Auch insgesamt steigt der Tabakkonsum an, wie eine repräsentative Langzeitstudie, die „Deutschen Befragung zum Rauchverhalten“, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf herausgefunden hat. Demnach gaben im November 2022 rund 36 Prozent der 2000 Befragten (ab 14 Jahre) an zu rauchen, Anfang 2020 waren es noch gut 26 Prozent. Das widerspricht der These von einer gesünderen Lebensgestaltung bei jungen Leuten doch deutlich.

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