Haushaltsstreit Analyse: Machtproben lähmen die US-Politik

Washington · Schon seit Jahren hat der Kongress in Washington zu drängenden politischen Fragen keine gemeinsame Haltung mehr gefunden. Die Unfähigkeit zum Kompromiss führt in gefährliche Situationen und blockiert das Land.

Wieder einmal haben die Streithähne in Washington aus dem Haushaltsstreit einen Ritt auf der Rasierklinge gemacht. Warum nur zeigt sich die amerikanische Politik so unversöhnlich und immer weniger bereit zum Kompromiss? Wollte man weit ausholen, würde man Elbridge Gerry verantwortlich machen. 1812, nicht einmal vier Jahrzehnte nach Gründung der amerikanischen Republik, ließ der damalige Gouverneur von Massachusetts die Wahlkreise seines Bundesstaats neu zuschneiden, und zwar mit merkwürdigen, geografisch nicht zu begründenden Schlängellinien als Grenzen. Gerry wollte erreichen, dass in bestimmten Distrikten Anhänger seiner Partei klar dominierten und nur eine wirklich faustdicke Überraschung den Sieg beim Votum gefährden konnte. Was dabei herauskam, ließ auf Landkarten an Salamander denken, so dass Spötter bald von "Gerrymandering" sprachen.

Der Begriff hat sich eingebürgert: Er beschreibt eine regelmäßig wiederkehrende Übung, bei der die Volksvertreter versuchen, ihre Hochburgen zu schützen, sie gleichsam mit Gräben zu umgeben, indem sie entweder stramm demokratische oder stramm republikanische Wahlkreise abzirkeln. Damit geht das Grundkonzept der amerikanischen Demokratie, dies ist die logische Folge, immer seltener auf.

Als die Gründergeneration um George Washington das politische System der Vereinigten Staaten bastelte, schuf sie — gerade auch im Kontrast zu den Feudalstrukturen des alten Europa — eine Architektur, die vor allem eines ausschließen sollte: autokratische Allmacht in den Händen des Präsidenten. "Checks and balances", die klassische Waage. Widerstreitende Interessen sollten ausgeglichen werden, indem die Akteure ständig an Kompromissen feilten, sich aneinander rieben. Es sollte immerzu knarren und knarzen, wie Alexander Hamilton, einer der großen Theoretiker unter den Gründervätern, es prägnant beschrieb.

Langsam mahlende Mühlen, so das Kalkül, würden keine Schnellschüsse zulassen. Die Idee hat sich lange so gut bewährt, dass sie fest zur amerikanischen DNA gehört. Dem wählenden Souverän ist es grundsätzlich suspekt, wenn eine Partei zu viel Einfluss gewinnt. Nach einem Präsidentschaftsvotum etwa wirft er das Ruder in aller Regel herum, um bei der Kongresswahl zwei Jahre später die Opposition zu stärken, das heißt, die Balance zu wahren.

Es gibt Ausnahmen, doch die lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. 1934 legten Franklin D. Roosevelts Demokraten zu, weil die Wähler "FDR" in den Wirren der Weltwirtschaftskrise vertrauten. 2002 rollte nach den Anschlägen des 11. September eine kräftige patriotische Welle durchs Land, so dass George W. Bushs Republikaner ihre Mehrheit noch ausbauen konnten. Die Erfahrung Barack Obamas, der nach seinem Einzug ins Weißen Haus eine derbe Schlappe beim darauffolgenden Parlamentsvotum einstecken musste, entspricht eher der historischen Regel.

Doch in dem Maße, wie sich die Fronten verhärten, wird gerade der Kongress in Washington zum Symbol für die politische Krise. Zu drängenden Fragen hat er seit Jahren keine gemeinsame Haltung mehr gefunden, weder zur Steuerpolitik noch zu überfälligen Reformen des Einwanderungsrechts oder der sozialen Sicherungssysteme. Immer öfter ersetzen reine Machtproben die sachliche Debatte.

Dieses Versagen wirft die Frage auf, ob Amerika, die älteste Demokratie der Welt, überhaupt noch regierungsfähig ist, wenn die Fähigkeit zum Konsens verloren geht. Das Paradoxe ist: Die Bürger haben das Problem sehr klar erkannt, und doch sind gerade sie es, die die zunehmende Polarisierung noch fördern. Mehr als vier Fünftel der Amerikaner haben kein Vertrauen mehr in den chronisch zerstrittenen Kongress. Aber allein den Abgeordneten die Blockade in die Schuhe zu schieben, wäre zu billig. Mit ihren Dramen und Gratwanderungen spiegeln Demokraten und Republikaner nur wider, was der Journalist Bill Bishop mit dem Buchtitel "Das große Sortieren" auf den Punkt bringt.

Nach Bishops Analyse sortiert sich die Gesellschaft in Biotope, zwischen denen es immer weniger Brücken gibt, die immer seltener einen gemeinsamen Nenner finden. Die einen fahren Volvo, das Erkennungszeichen linksliberaler Intellektueller, oder Toyota Prius, das Lieblingsmodell der Umweltbewegten, trinken bei Starbucks einen Latte macchiato, essen Biogemüse und reisen, sofern sie es sich leisten können, mindestens einmal im Jahr nach Europa. Die anderen bevorzugen schwere Pick-ups, das rustikale Steakhouse und reisen in Orte wie Nixa, Missouri oder Nashville, Tennessee, wo Countrysänger die schlichte Geradlinigkeit der Provinz und den robusten Stolz amerikanischer Patrioten beschwören.

Noch 1976 wohnte nur jeder vierte Amerikaner in einem Verwaltungsbezirk, den bei Präsidentenwahlen entweder der Kandidat der Demokraten oder der Bewerber der Republikaner mit deutlicher Mehrheit gewann. Mittlerweile ist es jeder Zweite. Auch die zersplitterte Medienlandschaft trägt ihren Teil dazu bei. Früher vertraute das breite Publikum einem souveränen, unaufgeregten Anchorman wie Walter Cronkite, der neutral beobachtend die Abendnachrichten moderierte. Heute informiert sich das rechte Amerika bei Fox, während das linke MSNBC schaut. Eigene Fernsehwelten, in denen die Argumente der Gegenseite schnell abgetan werden, mal Witze reißend, mal mit heiligem Zorn, statt sie nüchtern zu analysieren. "Ein gemischtes Ambiente mäßigt", schreibt Bishop, um sogleich den Umkehrschluss zu ziehen: Wer nur noch unter Gleichgesinnten lebe, vertiefe sie nur, die Spaltung der Nation.

(RP)
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