Amerikas Vordenkerin

Die Schriftstellerin Ayn Rand gilt noch 30 Jahre nach ihrem Tod als Portalsfigur des konservativen Amerikas. Der Kern ihrer Philosophie lautet: "Wenn du etwas wirklich willst, bekommst du es."

Düsseldorf Als Ayn Rand 1982 starb, legten ihre Verehrer ein Blumengebinde in der Form eines Dollarzeichens auf das Grab. Und noch heute, 30 Jahre nach ihrem Tod, verdreht die Philosophin Amerikas Konservativen den Kopf. Ihr Hauptwerk, der 1200-Seiten-Roman "Atlas Shrugged" von 1957, gilt als einflussreichstes Buch nach der Bibel: 2011 wurden eine halbe Million Bände verkauft.

Die Schauspielerin Angelina Jolie, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales und der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan gehören zu den Anhängern der radikal-individualistisch argumentierenden Denkerin. Auch Paul Ryan, 42 Jahre alter Kandidat der Republikaner für das Amt der Vizepräsidentschaft unter Mitt Romney, gab sich als Fan zu erkennen. Seinen Praktikanten soll er in seiner Zeit als Abgeordneter in Wisconsin stets "Atlas Shrugged" geschenkt haben.

Das filmreife Leben Ayn Rands begann in St. Petersburg. Sie wurde 1905 als Alissa Rosenbaum in eine deutschstämmige jüdische Apotheker-Familie geboren. Das Mädchen erlebte die Revolutionen des Jahres 1917, die Eltern wurden enteignet. Rand studierte Drehbuchschreiben an der Staatlichen Akademie und bekam eine befristete Ausreiseerlaubnis in die USA für einen Verwandtenbesuch. Sie fuhr hin, landete 1926 in Manhattan und kehrte nicht mehr zurück.

Die zielstrebige Frau brach bald auf nach Hollywood, sie schrieb Drehbücher, betörte Produzenten und Regisseure in perfektem Englisch, heiratete den Schauspieler Frank O'Connor. Diszipliniert arbeitete sie an ihren Romanen, die eher populärphilosophische Dispute sind: Ihre Figuren dienen Rand lediglich als Ideenträger.

Der unternehmerische Einzelne dient bei ihr als Triebfeder der Gesellschaft. Rands Lehre ist die des "rationalen Egoismus". Im Roman "The Fountainhead" heißt es: "Die erste Pflicht des Menschen ist die sich selbst gegenüber." Rands Helden sind Bosse, Erfinder und Staatsgründer. Sie tragen wie der mythische Atlas die Welt auf ihren Schultern, sie sorgen für das Fortkommen der Gesellschaft, aber Gewerkschafter und Apologeten des Gemeinwohls stehen im Weg.

Am deutlichsten wird Rands an Nietzsches Übermensch ausgerichtetes Gedankensystem in "Atlas Shrugged". Die Geschichte bietet eine Endzeit-Simulation mit viel Katastrophen-Kitzel. Rand beschreibt, wie die Elite sich zurückzieht, angewidert von den Klagen der intriganten Kleingeister. Von einer Kommandozentrale in den Rocky Mountains aus sehen die einstigen Lenker zu, wie das Land ohne sie zerfällt: Strommasten stürzen um, Hochöfen explodieren. Der Strahlendste in dieser Elite ist ein Mann namens John Galt. Er hält eine Radioansprache, die im Buch knapp 60 Seiten lang ist. Bei ihrer Lektüre fühlt man sich, als müsse man eine Tüte Mehl essen: "Ich schwöre, dass ich mich nie für einen anderen Menschen aufopfern werde, und ich werde nie verlangen, dass sich jemand für mich aufopfert."

Im Zusammenhang mit dem Werk Rands wird oft der Begriff "Objektivität" genannt. Er bezieht sich auf ihren Glauben an das Existieren der absoluten Wahrheit. Die Elite hat die Vernunft, sie zu erkennen, die Übrigen sehen sie nicht. Demnach ist Armut selbstverschuldet. Bei Rand besteht die einzige Möglichkeit, die Schwachen anzuspornen, darin, den "Umverteilungssozialismus" einzudämmen. Platt gesagt ist die politische Quintessenz Rands diese: "Weg mit staatlicher Intervention und Regulierung. Wenn du etwas wirklich willst, dann bekommst du es." Hier liegt der Grund, warum Rand in Europa bedeutungslos ist: Sie ist das Gegenbild zum christlich geprägten Humanismus.

Dass Paul Ryan, den sein 25 Jahre älterer Förderer Mitt Romney einen "Anführer" nennt, sich trotz der Popularität Ayn Rands jüngst von der intellektuellen Lehrerin lossagte, liegt an der Radikalität ihrer Theorie. Ryan will zwar – ganz im Sinne Rands – den Staat verschlanken, die Steuern für Reiche senken und Sozialhilfe und Krankenversicherung privatisieren. Doch es gibt außerdem Passagen in Rands Werk, die seiner Anhängerschaft weniger gefallen dürften: ihr Hass auf die Kirche als Institution etwa. Und: Sie gestand jeder Frau das Recht auf Abtreibung zu.

Vielleicht haben seine Berater Ryan den letzten Satz von "Atlas Shrugged" noch einmal vorgelesen. Die Edlen unter Führung von John Galt kehren schließlich zurück in die Welt: "Er hob die Hand und schrieb über die verwüstete Erde das Zeichen des Dollars."

Paul Ryan sagte neulich, er lese nun lieber Thomas von Aquin.

(RP)
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