Amerikas Politik nach bin Laden

Serie (1) Eine vierteilige Serie beleuchtet die Auswirkungen der Tötung Osama bin Ladens auf die Weltpolitik. Welche Folgen hat die Kommando-Aktion im pakistanischen Abbottabad auf die strategische Ausrichtung der Supermacht USA?

Wahington Paul Wolfowitz ist wieder da. Die profilierteste Stimme der Neokonservativen meldet sich auf der amerikanischen Debattenbühne zurück. Lange hatte man wenig gehört von dem Mann, der 2003 als Vize-Verteidigungsminister auf einen Einmarsch im Irak drängte und 2007 als Weltbank-Direktor wegen einer Gehaltsaffäre seinen Hut nehmen musste. Damit ist es vorbei. Barack Obama, schreibt Wolfowitz in einem Essay, habe mit der Kommandoaktion gegen Osama bin Laden politische Courage bewiesen. "Wird er als Nächstes im Namen des libyschen Volkes handeln?", fragt der Gelehrte und fordert das Weiße Haus auf, die Rebellen des nordafrikanischen Landes stärker zu unterstützen, etwa durch Schläge gegen Muammar al Gaddafis Rundfunksender.

Es sieht nicht danach aus, als wolle sich der Präsident den Rat zu Herzen nehmen. Das Denken geht in eine völlig andere Richtung. Es wird bestimmt von Überlegungen, wie sich beenden lässt, was Obamas Sicherheitsberater Thomas Donilon als zehnjährigen Umweg charakterisiert. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001, argumentiert Donilon, habe sich Amerika zu sehr in Konflikte im Nahen und Mittleren Osten verstricken lassen. Darüber habe es versäumt, sich auf jene Regionen zu konzentrieren, in denen die Zukunftsmusik spiele – vor allem auf Ostasien, wo der Einfluss Chinas stetig wachse. Noch deutlicher formuliert es Richard Haass, ein Mann der realpolitischen Henry-Kissinger-Schule, der George Bush senior während des Golfkriegs 1991 beriet: "Die Geschichte des 21. Jahrhunderts wird sehr viel wahrscheinlicher an den Ufern des Pazifiks geschrieben als in den Bergen Afghanistans", sagt der Chef des New Yorker Council on Foreign Relations.

Obama selber hatte es einst als Präsidentschaftskandidat nicht anders gesehen. Allerdings glaubte er, seine Härte unter Beweis stellen zu müssen, speziell im Vorwahlduell mit Hillary Clinton. Die porträtierte ihn in einem Werbespot als naiven Grünschnabel, völlig überfordert, wenn nachts um drei im Weißen Haus das Telefon klingle, weil irgendwo in der Welt eine Krise ausgebrochen sei.

Auch um das Image des akademischen Träumers loszuwerden, plädierte Obama dafür, das US-Kontingent am Hindukusch aufzustocken. Zwar widersprach es seinem erklärten Ziel, die Pazifik-Region in den Mittelpunkt zu stellen, doch er sah keine Alternative. Er sei nicht gegen Kriege an sich, ließ er wissen, nur gegen falsche Kriege wie im Irak. Nun bietet ihm das Ende bin Ladens die Chance, die Zwangsjacke auszuziehen, die er sich seit dem Frühjahr 2008 anlegen musste. Mut hat er bewiesen, indem er gegen alle Zweifel einen riskanten Kommando-Einsatz befahl. Jetzt kann er den Rückzug einleiten, schneller, als es sein bisheriger Fahrplan (Beginn des Abzugs im Juli 2011) skizziert. "Aus Afghanistan droht keine große Terrorgefahr mehr", doziert Haass, "bestimmt keine größere als aus Pakistan". Ergo reiche es, wenn statt der heute dort stationierten 100 000 GIs 10 000 bis 25 000 US-Soldaten bleiben, um Terrornester auszuheben und die afghanische Armee auszubilden. Al Qaida sei heute eher im Jemen und in der Sahel-Zone zu Hause als in Kabul und Kandahar, sekundiert der republikanische Senator Richard Lugar: "Afghanistan besitzt nicht mehr den strategischen Wert, der Ausgaben von 100 Milliarden Dollar pro Jahr rechtfertigt. Schon gar nicht, wenn die Kassen leer sind."

Bei der Diskussion geht es um mehr als um eine Weichenstellung für die Armee. Es geht um einen Paradigmenwechsel. Afghanistan steht als Chiffre für militärische Macht, für eine Überbetonung militärischer Macht, wie sie die US-Außenpolitik seit 2001 prägte.

Folgt man der Metapher des Harvard-Gelehrten Joseph Nye, dann sind es drei Beine eines Schemels, auf denen der Einfluss der USA ruht: "Soft Power", Wirtschaftskraft und bewaffnete Stärke. Die militärische Dominanz ist unbestritten: Washington gibt fast so viel Geld für Verteidigung aus wie alle anderen Länder zusammengenommen, wenngleich Rekorddefizite bezweifeln lassen, dass sich dies lange durchhalten lässt. Wirtschaftlich hat Amerika Federn gelassen, ob im Zuge des Aufstiegs der anderen wegen nachlassender Konkurrenzfähigkeit, sei dahingestellt.

Was seit dem 11. September 2001 am meisten litt, war die "Soft Power", oft gleichgesetzt mit dem Siegeszug von Blue-Jeans oder Hollywoodfilmen, in Wahrheit die Fähigkeit, andere von den eigenen Werten zu überzeugen. Nachdem die Jubelchöre über das Ende bin Ladens verklungen sind, dürfte man das Wortpaar wieder häufiger hören. Was Obamas Mannschaft darunter versteht, hat Hillary Clinton schon einmal präzise auf den Punkt gebracht, vor über zwei Jahren, als der Senat sie bestätigen sollte im Amt der Außenministerin. "Die beste Art, Amerikas Interessen voranzubringen, ist das Entwerfen globaler Lösungen. Das ist kein philosophischer Punkt. Es ist die Realität."

(RP)
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