Jerusalem Am "Tag der Schoah" steht Israel still

Jerusalem · Der Holocaust-Gedenktag ist ein Zeichen gegen das Vergessen. Außenminister Sigmar Gabriel mahnt in Jerusalem zur Toleranz.

Um 10 Uhr heult die Sirene. Ein gellendes Signal aus den Lautsprechern an den Straßen, das diesmal keinen Bombenangriff ankündigt. Autos stoppen. Menschen steigen aus und stehen still. Für zwei Minuten hält ganz Israel inne, um der sechs Millionen jüdischen Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Der Holocaust-Gedenktag "Jom Haschoa" ist einer der wichtigsten Nationalfeiertage Israels.

Bereits am Sonntagabend hatten ihn Staatspräsident Reuven Rivlin und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eröffnet. Israels erster Premierminister David Ben-Gurion hatte den Nationalfeiertag 1953 festgelegt. Seit Jahren wird "Jom Haschoa" auf dem Herzlberg, in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, eingeleitet. Strenge Kontrollen und Scharfschützen sicherten die Zeremonie. Geehrt wurden vor allem die 2500 jüdischen Holocaust-Überlebenden, die nach Jerusalem gekommen waren. Als erster österreichischer Bundeskanzler nahm Christian Kern teil.

Rivlin blickte zurück auf die seit dem Holocaust vergangenen 72 Jahre: "Je älter Israel wird, desto wichtiger ist es, sich zu erinnern." Der Präsident erinnerte an die Verbrechen der Nationalsozialisten und ihrer Helfer. Heute gehe es aber nicht mehr nur darum, "ein zweites Treblinka zu verhindern". Rivlin sprach von Wertschätzung und Respekt unter allen Menschen - und schloss dabei auch die ein, die in den von Israel besetzten Gebieten leben.

Netanjahu betonte in seiner Rede, dass Antisemitismus längst nicht der Vergangenheit angehöre: "Israel muss sich weiterhin gegen seine Feinde verteidigen." Der Holocaust habe gezeigt, dass die Starken überleben und die Schwachen verschwinden, mahnte Netanjahu.

Als die Fahnen bereits auf halbmast wehten, entzündeten Holocaust-Überlebende die Fackeln: sechs Feuer für sechs Millionen Tote. Kurzfilme auf den Leinwänden erzählten von ihren Überlebenskämpfen. Alle sechs vermittelten die Botschaft, wie wichtig Zusammenhalt im Leben ist.

Gestern Nachmittag traf Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in Yad Vashem ein. Es war zugleich sein Antrittsbesuch als Außenminister in Israel. In Yad Vashem begann er sein Programm. Gabriel sprach von der "Mahnung und Verpflichtung, einzutreten gegen Antisemitismus und für die Menschenwürde, für Toleranz und die Verständigung zwischen den Völkern". In der "Halle der Erinnerung" entfachte der Minister die Mahnflamme und schrieb ins Gästebuch: "Nirgendwo sieht man so überdeutlich, zu wie viel Bösem Menschen fähig sind und wie unvergleichlich das Leid ist, das über alle gebracht wurde. Unsere Aufgabe ist es nun zu zeigen, zu wie viel Gutem wir als Menschen auch in der Lage sind."

Unsere Autorin nimmt teil an einer Seminarreise für junge Journalisten, die 15 deutsche Medienhäuser zusammen mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem organisieren. Ziel ist es, das Gedenken an die Schoah wachzuhalten und den Austausch mit Israel zu vertiefen.

(ball)
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