Düsseldorf Als Arbeiterkind an die Spitze

Düsseldorf · Der Wunsch aufzusteigen ist auch in unteren Schichten groß, sagt eine Studie. Allein: Bildung gelte dafür immer öfter als unnötig.

"Du sollst es später einmal besser haben als wir." Der früher in Arbeiterfamilien oft gehörte Satz aus dem Mund von Vater und Mutter an die Adresse ihres Kindes scheint aus der Mode gekommen zu sein. Das könnte daran liegen, dass heute in deutschen Unterschichtfamilien die Desillusionierung viel größer ist als der Glaube an die sozialen Aufstiegschancen ihrer Sprösslinge. In der Studie "Vom Arbeiterkind zum Akademiker" der Konrad-Adenauer-Stiftung zieht der Politikwissenschaftler Aladin El-Mafaalani (Fachhochschule Münster) diesen bedenklichen Schluss: Unterschichtfamilien hätten oft nur geringe Erfolgserwartungen an ihre Kinder. El-Mafaalani hat für seine große Untersuchung zum sozialen Aufstieg viele Extremaufsteiger-Biografien geprüft und dafür 40 persönliche Interviews mit früheren Angehörigen unterprivilegierter, bildungsferner Milieus geführt. Sie alle haben es – salopp ausgedrückt – ausweislich ihrer akademischen Abschlüsse und ihres beruflichen Aufstiegs trotz ihrer Herkunft zu etwas gebracht, bis in wirtschaftliche oder wissenschaftliche Spitzenjobs.

Altkanzler Gerhard Schröder hat der Forscher nicht unter die Lupe genommen. Obwohl der Aufstieg des Sohns einer bitterarmen Kriegerwitwe vom Barackenbewohner über den Lehrling in einem Porzellangeschäft bis hin zum Juristen, Rechtsanwalt und Bundeskanzler ein phänomenales Beispiel fürs Gelingen, für das große Trotzdem darstellt.

Der Politikprofessor legt dar, dass auch heutzutage der Wunsch, reich und berühmt zu werden, in den unteren sozialen Schichten sehr ausgeprägt sei. Das Problem sei jedoch, dass durch Herkunft unterprivilegierte Mädchen und Jungen unter Aufstieg mehr und mehr dies verstünden: sich an Aufsteigern aus der Sport-, Musik- und Castingshow-Szene zu orientieren. Dort erlebten sie, dass sozialer Aufstieg auch ohne Bildung gelingen kann. El-Mafaalani: "Bestimmte Vorbilder, insbesondere Sportler und Musiker, suggerieren, dass man so bleiben kann, wie man ist, und dennoch reich und berühmt werden kann." Die moderne Version des alten Aufstiegs-Modells "Vom Tellerwäscher zum Millionär" laute demnach häufig: vom Ghetto-Kid zum Gangsta-Rapper oder Fußballprofi. Als populäre Beispiele für Aufstieg ohne Bildung geraten laut Studie Personen wie Bushido oder Mesut Özil in den Blick.

Die erfolgreichen Bildungsaufsteiger jedoch fallen ausweislich der Untersuchung dadurch auf, dass sie ihr früheres eigenes Denken und Handeln problematisieren und daraus den Drang entwickeln, an sich zu arbeiten, sich zu verändern. Dieser starke Veränderungswille geht nicht selten einher mit einer Distanzierung gegenüber der Herkunftsfamilie, sprich: der Knappheits-Welt von Vater und Mutter.

Es kommt laut Untersuchung auch zu offener Ablehnung der Herkunft. Im Laufe des Aufstiegs veränderten sich nicht nur Sprachgebrauch, Erscheinungsbild und Lebensstil, sondern auch Milieu-Zugehörigkeit und Persönlichkeit.

Auffallendes Studienergebnis ist, dass es bei allen befragten extremen Aufsteigern auf der sozialen Leiter neben Fleiß, Willen, Veränderungsdrang, Trennungskompetenz eher zufällig Förderer aus höheren sozialen Milieus gegeben hat. Neu ist, dass diese sozialen Paten kaum aus dem Kreis der Lehrer und Lehrerinnen oder Familienangehörigen stammten. El-Mafaalanis bitteres Fazit nach den 40 Interviews: Zum Teil seien die späteren Extremaufsteiger von ihren Lehrkräften und Eltern eher in ihrer Entwicklung gebremst worden. Marktwirtschaftlich-liberal geprägte Gesellschaften wie die deutsche zeichnen sich durch das Versprechen aus, dass jeder Mensch aus eigener Macht mit Geschick, Fleiß und Talent seines Glückes Schmied werden könne. Das bleibt ein bislang nicht realisiertes Ideal. Mit Verweis auf verschiedene internationale Untersuchungen heißt es weiter, dass die Diskrepanz zwischen Ideal und Realität in Deutschland besonders groß sei, dass es sogar Hinweise darauf gebe, dass die Differenzen in den Lebenschancen tendenziell größer würden. "Jeder ist seines Glückes Schmied" steht also in einem Spannungsverhältnis zu "Wie der Vater, so der Sohn".

Bereits die Bildungsreformen der 1960er und 1970er Jahre wurden durch Ungleichverteilungen angestoßen. Die anschließende Bildungsexpansion hat dazu geführt, dass sich die Bildungschancen zwar für alle deutlich verbesserten; dies aber hat nicht bewirkt, dass die soziale Ungleichheit zwischen den sozialen Schichten abgenommen hat (El-Mafaalani: "Vielmehr ist es empirisch erwiesen, dass eine Verdoppelung der Chancen für alle zu einer Erhöhung von Ungleichheit geführt hat").

In Deutschland könne Benachteiligung umfassend und stärker als in vergleichbaren anderen Staaten nachgewiesen werden, insbesondere in Bezug auf Bildungs-, Einkommens-, Karrierechancen. Was heiße, dass sozial ungleiche Lebensbedingungen und -chancen strukturell reproduziert würden. Motto: einmal Unterschicht, (fast) immer Unterschicht auch in den folgenden Generationen.

Es gibt auch nachvollziehbare Ratschläge: So sei neben individueller Förderung in der Schule eine stark sozial durchmischte Lebenswelt in der Kindheit wichtig; ebenso der Ganztags-Schulbetrieb.

(RP)
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